›Eine sektiererische Natur war ich nie‹

EIN INTERVIEW MIT ROBERT MISIK

Robert Misik macht viele Dinge. Man kennt den 59-Jährigen Wiener vor allem als Autoren, er ist aber auch Kurator, Intellektueller und – noch relativ frisch – Dramaturg. Und irgendwie gehört er wahrscheinlich auch zu den bekanntesten Linken Österreichs. Oliver Pink nannte ihn in der Presse einmal ›einen der brillantesten Publizisten dieses Landes‹ – hier der Link, falls es wer nicht glaubt.

Ende Jänner 2025 hat er sich Rahmen eines Porträt-Workshops, den ich bei der Österreichischen Medienakademie gehalten habe, von mir vor der Klasse interviewen lassen. Es ging um viel: Blau-Schwarz (Achtung: Das Gespräch fand statt, bevor die Verhandlungen in Turbulenzen gerieten), sein Leben, die Linke, das Berlin der 90er und wie man die Rüstungsindustrie besetzt, ohne dass der Portier einen Herzinfarkt bekommt.

Drei kurze Hinweise noch vorab:

– Ich hab ein ähnliches Gespräch auch schon mit dem Pressefotografen Matthias Cremer geführt, hier der Link.

– Unter diesem Link geht es zu Robert Misiks Website.

– Der Text wurde gekürzt und zwecks Lesbarkeit bearbeitet, ist aber relativ nah am Transkript.

Robert, wir sind beide keine Hellseher. Aber gehen wir mal davon aus, dass Blau-Schwarz kommt. Was bedeutet das für das Land?

Es ist eine sehr besorgniserregende Situation. Im Unterschied zu den bisherigen schwarz-blauen Koalitionen würde die FPÖ den Kanzler stellen. Herbert Kickl ist auch vom Typ her mehr der heißspornige Radikale und weniger der Bussi-Bussi-Schulterklopfer-Strache, der anerkannt werden und Spaß haben wollte. Früher haben sich Parteien wie die FPÖ, wenn sie in Regierungen gekommen sind, für gewöhnlich ein wenig gemäßigt. Um halbwegs „regierungsfähig“ zu werden, wie man das so schön nennt. Kickl hat die FPÖ in den vergangenen Jahren aber eher nochmal radikalisiert. Ich würde also – auch im Bezug auf Freiheitsrechte – eher mal mit dem Schlimmsten rechnen, allein weil es wenig Sinn hat, sich da in die Tasche zu lügen.

Du hast bereits zwei blaue Regierungsbeteiligungen im Bund miterlebt. Glaubst du, der Kanzler macht nochmal einen entscheidenden Unterschied?

Ja, aber nicht nur das. Das passiert ja auch nicht im luftleeren Raum, sondern passt in einen Zeitgeist. Den Rechtsruck, aber auch die allgemeine Irrationalität, die sich in die Gesellschaft hineinfrisst. Es gibt ein internationales Klima, das diese Form des radikalen und disruptiven Regierens viel mehr legitimiert als es das gesellschaftliche Klima vor 25 oder vor zehn Jahren getan hat.

Wie schaffst du es, dich von diesem Klima, das du ansprichst, nicht komplett desillusionieren zu lassen?

Die Frage, wie du sie stellst, setzt voraus, dass ich nicht desillusioniert bin. Bis zu einem gewissen Grad kann ich das aber auch von mir nicht fernhalten. Wenn langfristig alles tendenziell nach unten rutscht, man auch empfindet, dass man Niederlagen einsteckt – also wir alle, muss nicht ich persönlich sein –, macht das eher weniger optimistisch. Das hat natürlich auch Einfluss auf meinen emotionalen Haushalt.

Dann lass mich hier einhaken, weil du es ansprichst: Ist es nur ein Aufstieg der Rechten oder auch eine Niederlage der Linken?

Das eine heißt automatisch immer auch das andere. Wobei man darüber reden kann, wie die Zusammenhänge sind. Vor 25 Jahren hab ich es noch so formuliert, dass der Aufstieg der Rechten nie ein Folge davon ist, dass sie selbst so toll sind, sondern immer ein Symptom des Versagens von anderen. Und damit maßgeblich von linken Parteien, die offenbar nicht mehr wahrgenommen werden als maßgeblicher Repräsentanten der „einfachen Leute“ – ich sag das jetzt mal bewusst simpel –, aber auch als Repräsentanten einer allgemeinem Unzufriedenheit mit der Gesellschaft, die ja gute Gründe hat.

Wie würdest du es heute formulieren?

Das eben Gesagte war für seine Zeit wahr und ist es zu einem Teil auch heute noch. Es hat aber seitdem auch eine Eigendynamik und eine Verhärtung gegeben. Deshalb würde ich heute eher sagen: Es ist eine Niederlage der Linken, aber auch eine Niederlage in der allgemeinen Auseinandersetzung, wie eine liberale, pluralistische Gesellschaft sein soll. Und eine Niederlage in Hinblick auf Zeitachsen und Zeitgefühl. Also der Mangel an einem Gefühl, dass wir unsere Gesellschaft kontinuierlich besser, dass wir sie freier machen. Es herrscht generell ein regressives Klima. Das Wort „Niederlage“ ist da wahrscheinlich nicht so präzise. Aber es gibt dieses Phänomen, und es ist heute breiter als nur ein Versagen der Linken.

Zurück zum emotionalen Haushalt. Was macht das mit jemandem wie dir?

Also erstmal macht es mir keine Freud’. Es lähmt auch irgendwo, wobei man sich nicht lähmen lassen darf. Da fühle ich auch zu einem gewissen Grad eine Verantwortung als Autor, als öffentliche Figur und als eine kämpferische Natur. Das ist das eine. Es bringt aber auch ein Dilemma mit sich: Eigentlich sieht man sich mit den Impulsen, die man setzen will, ja als eine Kraft der Veränderung. Plötzlich ist man aber nur noch in einer Position der Verteidigung von Institutionen bzw eines Institutionengefüges, das man früher selbst kritisiert hätte. Das nützt dann wiederum die Rechte, die sich als Kraft der Veränderung positionieren kann.

Das ist ein Diskurs, der unter US-Demokraten seit der verlorenen Wahl im November stark ist: Wie können wir Institutionen verteidigen, ohne als Verteidiger des ungeliebten Status Quo aufzutreten?

Das ist eine Sackgasse, aus der man nicht so leicht rauskommt. Weil es stimmt ja: Man muss die Institutionen natürlich verteidigen. Durch ihre Schwächung oder gar Abschaffung wird erstmal nichts besser.

Wie sieht denn die Aufgabe einer Zivilgesellschaft bzw einer Linken im Fall von Blau-Schwarz für dich aus?

Nehmen wir mal an, so eine Regierung tritt an. Dann muss man an jeder Stelle, bei jedem Meter ankämpfen gegen den Geist des Illiberalismus. Das heißt natürlich große Demonstrationen. Allein weil es einen manifestorischen und dokumentarischen Charakter hat, deshalb heißen Demonstrationen ja so. Es macht den eigenen Leuten Mut, und wenn es auf der anderen Seite noch ein bisschen Eindruck macht, umso besser. Das kann funktionieren, wir sehen das gerade zum Beispiel in der Slowakei. Es geht aber auch auf die persönliche Ebene runter: Ich glaube im Grunde genommen, dass in so einer Situation jeder, der halbwegs anständig ist, an seinem Posten bleiben muss. Nur so als Beispiel: Als Alexander Schallenberg gesagt hat, er steht als Außenminister nicht zur Verfügung, haben ihn alle für seine Haltung und sein Rückgrat gelobt. Ich hab mir aber gedacht: Naja, eigentlich wär es besser, wenn so Leute wie Schallenberg bleiben würden, wo sie sind. Wenn jetzt alle Leute ihre Posten freiwillig räumen, bis in die unteren Hierarchien, macht man die Räume noch mehr auf. Das ist mal die unmittelbare Aufgabe. Längerfristig gilt es aber natürlich, die gesellschaftlichen Hegemonien, die Diskurse zu verändern. Damit dieses Dilemma, das ich eben geschildert habe, ein bisschen überwunden wird. Aber da müssen wir ehrlich genug sein, uns einzugestehen, wie schwierig das ist. Ich bin ja verwoben mit verschiedensten progressiven Parteien in diversen europäischen Ländern, und jeder versucht einen Weg zu finden. Die Probleme sind sehr ähnlich, aber den Königsweg hat bislang noch niemand entdeckt.

Du arbeitest seit vielen Jahren daran, die angesprochenen Hegemonien zu verändern…

Mit wenig Erfolg, wie man sieht. (lacht)

Du weißt ja nicht, wie es ohne dich wäre. Aber wie würdest du deine Rolle beschreiben? Du hast glaub ich eben den Autor und die kämpferische Natur erwähnt. Was tust du?

Schwierig zu sagen. Es sollte ja auch nicht so wichtig sein, sich selbst zu labeln. Ich würde aber zentral mal sagen: Ich bin Autor. Das passt auch von meinem ganzen biografischen Hintergrund. Ich hab vor fast 40 Jahren begonnen, als Journalist zu arbeiten. Diese Rolle hat sich natürlich verändert, aber letztlich bleibt das Schreiben von Texten für mich prägend und der Kern meiner Leidenschaft. Das ging bei mir aber immer zusammen mit einem politischen Impuls. Schon die Berufswahl Journalist war bei mir damit verbunden, dass ich politischer Aktivist war. Da hatte man ja historische oder zeitgenössische Beispiele von Leuten vor Augen, an denen man seine Rolle modelliert hat.

Hast du ein Beispiel für so jemanden?

Leute, die mich immer begeistert haben, sind zum Beispiel Heine, Tucholsky oder Orwell. Auch Susan Sontag war sehr wichtig für mich. Das sind jetzt sehr große Namen, das klingt auch irgendwie vermessen, aber da gehts ja um die Rolle. Wobei die bei denen auch sehr unterschiedlich war: Tucholsky war ein linksliberaler, auch tagesaktuell arbeitender Autor mit viel Humor und Sprachliebe, Sontag war Kulturkritikerin und -theoretikerin, Orwell war ein kämpferischer Parteimann, ohne jemals völlig parteilich zu sein. Das zeigt so ein bisschen das Spektrum.

An was arbeitest du gerade? Du hast deine fortlaufenden Kolumnen, klar. Aber schreibst du wieder an einem Buch?

Nein, im Augenblick nicht. Ich hab ja viele Hüte auf, ich mache zb auch Veranstaltungen im Kreisky Forum. Jetzt gerade bin ich in der zweiten Saison Dramaturg bei den Wiener Festwochen und mache dort mit dem Milo Rau Produktionen. Das ist aktuell meine größte längerfristige Arbeit.

Ist diese dramaturgische Arbeit ein neuer Hut für dich?

In dieser Größe ja, auch dass ich im Team eingebunden bin. Aber ich hab in der Vergangenheit schon auch Theaterproduktionen für das Werk X gemacht, 2017 auch mal was bei den Festwochen. Kuratorisch hab ich auch gearbeitet, zb eine große Ausstellungen im Museum für Arbeitswelten in Steyr. Vor einigen Jahren war ich auch im Team für die Nürnberger Bewerbung zur Europäischen Kulturhauptstadt.

Da bin ich gerade offenbar nicht gut vorbereitet. Du machst so viel, man verliert ein bisschen den Überblick.

Das geht mir manchmal nicht anders, keine Sorge.

Machen wir mal, ganz klassisch für das Porträt-Gespräch, den großen Sprung zurück. Wie bist du aufgewachsen? Wie bist du ein Linker geworden?

Ich bin in einem normalen unteren Mittelschichts-Haushalt in Wien der 60er Jahre hineingeboren worden. In jungen Jahren bin ich dann in diese Aufbruchsbewegungen der späten 70er und frühen 80er Jahre hineingeraten. Bei den Hausbesetzungen 1981 war ich 15 Jahre alt. Das waren so die ersten Initiationen in den politischen Aktivismus, aber auch in eine Form von Freiheitssehnsucht von Jugendbewegungen. Das ist ja oft zentraler als das, was dann politisch dazu geredet wird. Es geht immer auch um Lebensstil, Lebensform und Lebenskultur. Ich hab mich dann in den 80er Jahren einerseits schon im linksradikalen Milieu bewegt. Aber eben im Wien, wo dieses Milieu doch noch Verbindungen zum Establishment hatte, insbesondere zum sozialdemokratischen Establishment, durch die Kreisky-Jahre. Das ist sicher ein Spezifikum in Österreich, ich kenn mich ja ein bisschen aus in der Welt. Das war sicherlich auch prägend für mich. Und hat dann… ich überspringe jetzt ein bisschen.

Bitte, überspring.

Das hat dann auch meinen Eintritt ins Berufsleben geprägt. Ich bin dann ja mit 22 Jahren Redakteur bei der Arbeiterzeitung geworden, der damaligen sozialdemokratischen Parteizeitung, dem Zentralorgan der SPÖ. Kann man sich heute gar nicht vorstellen, was ein Zentralorgan überhaupt ist. Die Sozialdemokratie in Österreich hat sich sozusagen die Linksradikalen eingefangen und in ihre Zeitung hineingesetzt, während sie sie in Deutschland mit dem Radikalenerlass verfolgt und verhindert hat, dass sie jemals beruflich ein Bein auf den Boden bekommen. Das war schon ein bisserl österreichisch. So ist dieser Übergang vom jugendlichen Aktivismus in den politischen Journalismus bei mir ziemlich smooth und eigentlich wahnsinnig schnell gegangen.

Hast du dich entradikalisiert oder warst du nie ganz radikal?

Es gibt ja radikale Theorien und radikale Überzeugungen, die hatte ich schon. Aber diesen radikalen Habitus, der ja oft mit einem Tunnelblick und Unverständnis für die Wirklichkeit um einen herum verbunden ist, den hab ich wahrscheinlich nie ganz gehabt. Es gibt dazu eine Anekdote: Wir haben irgendwann die österreichische Rüstungsindustrie besetzt, also Steyr Daimler Puch – da war ich in Wirklichkeit so etwas wie der kleine Anführer. Wir hatten aber ausgemacht: Irgendwer muss als erstes zum Portier gehen, damit der keine Angst und in Folge eventuell einen Herzinfarkt kriegt. Das war ich. Ich hab also quasi die Rüstungsindustrie besetzt, bin aber auch sofort zum Portier, um ihn zu beruhigen. Das zeigt vielleicht ein bisschen: Eine dieser ganz sektiererischen Naturen war ich nie.

Du hast dann in Wien die Wende erlebt, die große Umbruchzeit, und bist dann an einen der spannenderen Orte gekommen, an dem in den 90ern sein konnte: Berlin. Wie bist du dort gelandet?

Da muss ich erst eine kleine Korrektur machen: Die Wende habe ich gar nicht so sehr in Wien erlebt. Ich war außenpolitischer Redakteur der Arbeiterzeitung und habe die Wende dort erlebt, wo sie stattgefunden hat, vor allem die Tschechische Revolution und die Wende in der DDR. Ich war wochenlang dort, bin dauernd hin und her geflogen, habe dann dort quasi auch gelebt. Das präjudiziert aber schon ein bisschen das, worauf deine Frage abzielt. Weil dadurch habe ich natürlich Deutschland, aber auch die DDR, also Westdeutschland und Ostdeutschland ganz gut gekannt schon. 1991 bin ich dann nach Berlin gegangen.

Dann bleiben wir doch noch kurz dort. Wie war dein ideologischer Hintergrund damals? Warst du Kommunist? Hattest du einen emotionalen Bezug zur Sowjetunion?

Der emotionale Bezug war vielleicht schon da. Ich war so ein freischwebender, libertärer Bolschewik, wenn man so will, also die KPÖ und der Stalinismus haben mich nie angezogen. In den Studenten- und Jugendtagen war ich in trotzkistischen Gruppen unterwegs. Dadurch hatte ich einerseits ein emotionale Verbindung zu einer Idee der Sowjetunion, was ja ein proletarisch-sozialistischer, kommunistischer Staat sein sollte. Andererseits war ich eine emotionale Verbindung dann eher zur Opposition in diesen Gesellschaften. Also eigentlich gar nicht „eher“: Wir haben auch Flugblätter rübergeschmuggelt und mit Dissidenten zusammengearbeitet. Das sind bis heute auch stabile Verbindungen. Einer der großen Dissidenten in Tschechien war zum Beispiel Petr Uhl, mit dem wir eng zusammengearbeitet haben. Seine Tochter ist eine berühmte investigative Journalistin, mit der stehe ich auch beruflich in Kontakt. Irgendwann hab ich ihr mal ein Foto geschickt von ihrem Vater und mir vor 40 Jahren. Das sind die schönen Seiten am Älterwerden, dass man viele solcher Verbindungen emotionaler, biografischer Natur hat.

Ich hab dich unterbrochen: 1991 kommst du nach Berlin.

Genau. Die Arbeiterzeitung wurde erst privatisiert und dann eingestellt, du kennst die Geschichte wahrscheinlich. Dann hat mich das Profil gefragt, ob ich für sie nach Deutschland gehen würde. Ich hab gesagt: Gerne, aber nur nach Berlin. Damals war ja noch Bonn die Hauptstadt, Dem Profil war es wurscht, wo ich sitze, es gab auch viele Bus- und Flugverbindungen. Und so habe ich dann von 91 bis 98 in Berlin gelebt, am Prenzlauer Berg, der damals noch nicht gentrifiziert war, sondern das Gegenteil davon. Ein verfallener, verrückter, ehemaliger Arbeiter- und Künstlerbezirk in Ostberlin, wo dann schon ein paar Wessis eingefallen sind, die aber kein gutes Standing hatten. Wer nicht aus Westdeutschland kam – wie die Österreicher, Schweizer, eine Handvoll Amerikaner und Norweger – wurde mit großer Freude aufgenommen. Aber die Wessis mussten ein paar Kreise ziehen, bis sie in diesen Kunst-Bohème-Kreisen angenommen wurden.

Kommt deine gute Vernetzung nach Deutschland noch aus dieser Zeit?

Ich war ja relativ lange dort, im Alter von 26 bis 32 Jahren. Das ist natürlich irgendwie auch eine prägende Lebensphase. Über die Arbeit hab ich viele Kontakte gewonnen. Ich hab ja nicht nur politische und gesellschaftliche Berichterstattung gemacht, sondern auch Kulturkritik. Hab die Leute vom Berliner Ensemble kennengelernt, war in Kontakt mit Heiner Müller genauso wie mit Gerhard Schröder. Ich hab damals auch schon für verschiedene deutsche Zeitungen geschrieben. Bei der taz hab ich 1992 angefangen, das hat auch nie aufgehört. Ich bin letztens erst drauf gekommen, dass ich einer der ältesten Veteranen der taz bin. Gibt nicht mehr so viele dort, die seit 1992 dabei sind. Das ist auf irgendeine Art und Weise immer noch prägend.

Du bist dann 1998 wieder nach Wien gegangen. Dann kam relativ bald schon ein weiteres historisches Ereignis: Haider bzw Schwarz-Blau unter Schüssel. Wie hast du das erlebt?

Ich bin aus privaten Gründen wieder zurück. Meine Lebensgefährtin lebte in Wien, wir haben ein Kind bekommen und die Phantasie „Man kann ja auch mit Kind pendeln“ hat sich relativ bald als eher nicht so lebenspraktisch herausgestellt. Ich saß dann in der Profil-Redaktion, wo ich nicht so glücklich war, und bin dann irgendwann zum Format gegangen. Das war der Hintergrund. 1999 hat es sich dann begonnen, abzuzeichnen: Die FPÖ hat 27 Prozent bekommen, und es war schon absehbar, dass es möglicherweise auch zu einer Regierungsbildung kommt. Ich hab dann gemeinsam mit anderen Initiativen unter der Dachmarke „Demokratische Offensive“ Kundgebungen organisiert. Das führte zu großen Demonstrationen: Der am Stephansplatz circa einen Monat nach der Wahl, der zur Angelobung am Heldenplatz mit circa 200.000 bis 300.000 Leuten, in der Folge denn zu den Donnerstagsdemos. Es war eine sehr bewegte Zeit, anstrengend und adrenalinfördernd. Aber auch ohne große Geheimnisse, sozusagen.

Aber was hast du aus der Zeit mitgenommen? Dass die FPÖ eh von selbst implodiert?

Ich hab mitgenommen, dass es ein bisschen eine hilflose Reaktion ist, wenn man erst mal Wahlergebnisse abwartet und dann hinterher gegen sie demonstriert. Besser man schaut, dass die Wahlergebnisse anders ausgehen. Dass die FPÖ dann so implodiert ist, das ist halt passiert. Ich würde mich nie darauf verlassen, dass das immer passiert.

Hältst du diesen Gedanken für gefährlich?

Ja, das ist glaube ich gefährlich. Es war eine andere FPÖ, es war ein anderes Gesamtumfeld. Darüber haben wir am Anfang ja schon ein wenig gesprochen. Ich glaub ohnehin, dass es Quatsch ist, zu glauben, man könne die jetzige Situation mit den Mustern von vor 25 Jahren analysieren.

Wenn ich dich als Altlinken porträtieren wollte, dessen Denken vor 20 Jahren steckengeblieben ist, würdest du es mir gerade nicht leicht machen.

Das ist nett, dass du das sagst. Wenn ich so ein Porträt lesen würde, würde ich mich danach wahrscheinlich am liebsten erschießen.

Wie schaffst man das, über die Jahre auch theoretisch interessiert zu bleiben?

Ich habe mich immer interessiert für Debatten, Diskurse, Bücher, die neuesten Theorien. In den Neunzigerjahren hat man Habermas und diese ganze Adornoblase gelesen. In den Nullerjahren gab es ein bisschen einen Hype rund um Negri und Hardt und diese neu gewendete Autonomia-Theorie. Das war sehr interessant, aber man hat diese freischwebenden Netzwerke des Widerstands ohne Anführer dann teilweise auch in der Realität zerschellen sehen. Erst im Zucotti Park in New York nach der Finanzkrise, aber letztlich dann auch in Griechenland. Wobei sie da immerhin in die Syriza-Regierung verwandelt worden sind, der ich dann auch sehr nahe war. Ich hab immer auch versucht, mir Dinge mehr aus der Nähe anzuschauen, die Leute kennenzulernen. Aber es stimmt auch, dass es einen Fluch des Alters gibt. Irgendwann hat man das 15. Buch zu einer Spielart einer Theorie gelesen und hat sie auch scheitern gesehen. Da muss man aufpassen, dass man nicht in Desinteresse aus Routine hineinkippt.

Wie kann ich mir das eigentlich vorstellen mit dir und der Politik? Rufen dich manchmal Leute aus der Sozialdemokratie an und wollen wissen, was du über Dinge denkst?

Das ist von Zeit zu Zeit unterschiedlich. Als Christian Kern Kanzler war, mit dem war ich ja gut befreundet, haben wir oft zweimal pro Tag telefoniert. Und dann gibt es wieder Situationen wie jetzt, wo mich, wenn ich nicht spezielles Interesse zeige, wochenlang niemand anruft. Aber es gibt schon auch lustige Anekdoten: Zur Zeit der Griechenland- und der Eurokrise war ich ja gut vernetzt mit den Sozialdemokraten in Deutschland und Österreich, aber auch den griechischen Sozialisten. Bevor Faymann auf Staatsbesuch nach Griechenland gefahren ist, hat mich das Kanzleramt angerufen und gefragt, ob ich sie coachen kann. Und 20 Minuten später hat dann das griechische Amt des Ministerpräsidenten angerufen und auch gefragt, ob ich sie coachen kann. Ich hab dann gesagt: Bitte, coache ich euch halt beide.

Gibt es was, was dich an jüngeren Generationen von Linken nervt? Und gibt es etwas, das dir Hoffnung macht?

Es gibt mehr, was mich nervt, als was mir Hoffnung macht. Jetzt kann man natürlich sagen, das ist eine Altersfrage, aber da steckt schon ein inhaltlicher Konflikt drin. Ich glaube, wir werden diese Gesellschaft nur vorwärts bringen, wenn wir irgendwie ein großes Zelt bauen von Progressiven, die trotz aller Unterschiede an einem Strang ziehen. Und die auch immer ein Auge haben darauf, wie man Mehrheiten gewinnen kann. Es hat natürlich auch früher linke Grüppchen gegeben, aber die Versuchung, selbstreferenziell zu sein, ist heute noch größer. Du kannst dir über Social Media verschworene, kleine Gruppen bauen, die aber groß genug sind, um in sich ausreichend Zuspruch zu generieren. Du kriegst genug positives Feedback aus deinen Peergroups und musst nicht mehr über die hinaus wirken. Das ist glaube ich ein fatales Anreizsystem. Das hat jetzt aber gar nicht nur mit der Linken zu tun, sondern mit der Technologie, die das eben gibt. Aber es erhöht die Wahrscheinlichkeit für den Narzissmus der kleinen Differenz, diesen konfrontativen Stil generell: Wer anders ist als ich, der ist nicht anders und auch nicht interessant, sondern ein Arschloch oder möglicherweise auch noch eine moralisch verkommene Person. Das führt zu Handlungsunfähigkeit innerhalb des Netzwerks und zur Wirkungslosigkeit über die Gruppen hinaus.

Was kannst du Positives sagen?

Das Positive daran ist, dass diese kleinen Grüppchen natürlich ein wurrender Flohzirkus sind, in dem unzählige Leute aktiv sind, die diese Gesellschaft verändern und bunter machen. Da gibts eine große Vielheit, und das braucht es. Und in Wahrheit sehen ja viele in den Gruppen selbst diesen Prozess der Gruppenpolarisierung, den ich gerade in meiner etwas polemischen Art kritisiert habe. Es gibt immer die Gefahr, dass die Radikalen so laut sind, dass die etwas Moderateren leise werden, obwohl sie eigentlich in der Mehrheit wären. Aber ich sehe im Augenblick zumindest ein wachsendes Bewusstsein für die Downsides dieser Entwicklung. Das macht mir Hoffnung. In der Politik seh ich eher wenig, was mir Hoffnung macht. Die Anreizsysteme haben sich da so gewandelt, dass oft nur mehr die Untalentiertesten übrig bleiben.

Was meinst du damit?

Das ist eine Entwicklung, die es nicht nur in Österreich gibt. Ich war die Woche gerade in Nürnberg eingeladen. Von einer breiten Allianz, die sich gegen den Rechtsextremismus stellt, auch mit vielen Leuten, die eher CDU-Wähler sind. Mein Eindruck ist schon: Diese Wahl würde wahrscheinlich ganz ausgehen, wenn die SPD einen konkurrenzfähigen Kandidaten an der Spitze und die CDU jemanden wie Hendrik Wüst aufgestellt hätte. Eine große Zahl der klassischen Parteiwähler wählt ihre Partei nur noch mit Nasezuhalten, als wirklich kleineres Übel. Das könnte anders sein und sollte anders sein.

In diesem Gespräch kamen jetzt oft Worte wie „Niederlage“ vor, wir haben über das Scheitern der Syriza-Regierungen gesprochen. Glaubst du, aus einer linken Position heraus können die Entwicklungen noch einmal grundsätzlich besser werden? Oder ist es immer nur ein „besser scheitern“?

Im Moment sind wir in einer Art populistischem Moment, aber der wird auch wieder vorbeigehen. Wenn du die Syriza-Regierung ansprichst: Das ist ja letztlich ein Scheitern von Politikern in einer speziellen Konstellation. Diese Form des Scheiterns hast du auf der Rechten ja auch. Das ist auch etwas, was an der Positionen des Journalisten oder Publizisten – die wir ja beide sind, obwohl wir unsere Rolle sicher etwas anders anlegen – schön ist: Man sieht die großen Männer und großen Frauen kommen, man sieht sie irgendwann wieder die Donau runterschwimmen, man selbst ist aber immer noch da. Das ist eines der wenigen Dinge, die ein bisschen Gelassenheit geben.