›Er tötet, um die Frau zurückzugewinnen‹
ERSCHIENEN IN DATUM 2/2019
Kapitalverbrechen an Frauen: Was sind die Gründe, Folgen und Lösungen, Frau Sorgo?
Amstetten, Krumbach, Wiener Neustadt, Wien Hauptbahnhof, Tulln. In den ersten Wochen des neuen Jahres wurden in Österreich bereits fünf Frauen umgebracht. Von Männern, die sie kannten. Dass das Thema medial und politisch jetzt auf die Agenda gerückt ist, bedeutet für Marina Sorgo erst einmal Stress: Sorgo ist seit über 30 Jahren im Gewaltschutz tätig und leitet das Gewaltschutzzentrum Steiermark in Graz. Im Moment bekommt sie viele Anfragen aus den Medien, die Politik überlegt, spontan einen Anti-Gewaltgipfel zu organisieren. Sorgo nimmt sich für all das Zeit. Solch ein Zeitfenster für mögliche Verbesserungen kommt nicht oft, das muss man nutzen.
DATUM: Frau Sorgo, warum bringen Männer ihre (Ex)- Partnerinnen um?
Sorgo: Manche Männer – und es sind natürlich nur manche, das möchte ich betonen -bringen ihre Partnerinnen um, weil sie noch immer in patriarchalen Denkmustern verhaftet sind. Das sind großteils Menschen, die mit ihrem eigenen Rollenbild nicht klar kommen. Wenn dann Kränkungen passieren, erleben diese Männer ein Ohnmachtsgefühl. Sie haben keine andere Bewältigungsstrategie für Konflikte, für den Stress, der mit jeder Beziehung einhergeht. Das ist der Hintergrund, vor dem Frauen in Paarbeziehungen noch immer ermordet und schwer verletzt werden.
Heißt Kränkung in dem Fall: Die Frau will mich verlassen?
Die Situationen, wo sich Frauen entscheiden, die gewalttätige Beziehung zu verlassen, sind am gefährlichsten. Der Täter kann damit nicht umgehen. Er sieht für sich keinen anderen Ausweg. Da ist häufig auch ausgeprägter Narzissmus im Spiel, der Täter geht davon aus, im Recht zu sein. Es ist wie ein Tunnelblick. Der Mann will sein patriarchales System, das Machtverhältnis aufrechterhalten. Um die Frau zurückzugewinnen, tötet er sie.
Haben die Taten eine typische Vorgeschichte?
Meistens sind Anzeichen sichtbar. Das hängt aber natürlich vom Täterprofil ab. Es gibt unauffällige Täter, wo die Gewalt für das Umfeld kaum sichtbar ist. Und wo auch der Frau nicht immer klar ist, dass sie in einer gewalttätigen Beziehung lebt.
Weil dort die Gewalt psychisch und nicht physisch stattfindet?
Oder sehr unterdrückt. Das sind oft isolierte Männer, die kaum Gefühle zulassen können, aber in Extremsituationen explodieren. Das kann man sehr schwer verhindern. Aber der Großteil der Täter gibt Warnzeichen von sich. Es gibt meist eine Vorgeschichte der Gewalt. Ein Alarmzeichen ist auch, wenn den Männern die Konsequenzen egal sind. Wenn’s mir wurscht ist, ob ich ins Gefängnis gehe oder nicht, wenn ich glaube, nichts mehr zu verlieren zu haben, dann hab ich eine Grenze überschritten, wo ich sehr gefährlich bin. Männer, die ihre Konflikte mit Gewalt lösen, die tun das immer. Nicht nur einmal, nicht nur zweimal. Die haben grundsätzlich keine anderen Bewältigungsstrategien.
Warum haben diese Männer keine andere Form der Bewältigung? Haben sie die nicht gelernt?
Viele dieser Männer sind selbst in Gewaltverhältnissen aufgewachsen, haben erlebt, dass man auf Stresssituationen mit physischen oder psychischen Übergriffen reagiert. Wenn diese gelebte Gewalt von der Vertrauensperson ausging, kommen noch Bindungsstörungen hinzu. Das ist ein gefährlicher Cocktail: Ich hab nicht gelernt, Konflikte gewaltfrei zu lösen. Und das ist dann auch noch eingebettet in ein patriarchales System, wo sich diese persönlichen Störungen mit kulturellen, religiösen oder ideologischen Vorzeichen verbinden. Da treffen persönliche und gesellschaftliche Probleme aufeinander.
Man verschiebt familiäre Gewalt gedanklich gern in sozioökonomisch schwache Haushalte. Ist das ein Vorurteil?
Sie ist dort sicher ausgeprägter, aber sie wird vor allem eher sichtbar. Bei eloquenten, gut ausgebildeten Menschen ist die Gewalt, die Unterdrückung viel subtiler. Die können sich auch viel besser rechtfertigen. Aufgrund der Eloquenz dieser Menschen wird die Verantwortung noch viel stärker den Opfern zugeschoben. Das wirkt dann plausibler, so dass es häufig noch weniger Folgen für die Täter gibt.
Das Thema ist jetzt gerade durch die relativ rezente Steigerung an Femiziden in den letzten Jahren sehr präsent. Hilft das, oder ist das Ihrer Erfahrung nach ein Sturm, der vorüberzieht?
Auf diese Frage gibt es mindestens zwei Antworten. Ich bin immer froh, wenn allen ins Bewusstsein rückt, dass wir uns nicht zurücklehnen können, und darüber reden, was wir verbessern können. Aber wir arbeiten natürlich auch an Reformvorschlägen, wenn das Thema gerade nicht aktuell ist. Und damit ist es außerhalb dieser Zeitfenster der Aufregung gar nicht so leicht, zur Politik durchzudringen.
Sie sind schon über 30 Jahre in diesem Bereich tätig. Haben Sie das Gefühl, dass die Gewalt gegen Frauen zunimmt? Oder eher ihre öffentliche Wahrnehmung?
Wir sind sensibler geworden, schauen genauer hin. Dadurch haben wir das Gefühl, es nimmt zu. Wenn man sich die Zahlen anschaut, sieht man aber, dass das so nicht stimmt. Zum Glück nicht. Das Thema Gewalt an Frauen ist von der privaten in die öffentliche Sphäre gewandert. Der Staat hat im Zusammenhang mit dem Gewaltschutzgesetz, das vor über 20 Jahren entstanden ist, offen die Verantwortung übernommen. Wir haben in Österreich viele gute gesetzliche Regelungen zum Schutz der Opfer. Dadurch sind diese viel eher bereit, sich Hilfe zu holen. Das Schwierigste, mit dem wir in der Opferbetreuung zu tun haben, ist, dass Menschen, die Opfer von Gewalt geworden sind, sich schämen. Dieses Signal von außen zu kriegen: Der Täter ist verantwortlich, der Staat kümmert sich darum, das ist ein wichtiger Fortschritt gewesen.
2018 haben knapp 19.000 Menschen Hilfe bei Gewaltschutzeinrichtungen gesucht. Das ist viel, aber sicher nur die Spitze des Eisbergs. Ist familiäre Gewalt immer noch ein Tabuthema?
Ich hoffe, es ist ein Teil des Eisbergs, nicht mehr nur die Spitze. Menschen haben vielfältige Gründe, sich nicht an uns zu wenden. Viele Frauen schämen sich. Sie glauben, das aushalten zu müssen, weil sie das ihrer Familie, ihren Kindern schuldig seien. Andere wiederum sind traumatisiert und zu schwach. Viele haben auch die Hoffnung, dass es besser wird: Wenn wir ein Kind kriegen, wenn er einen anderen Job hat, dann wird alles anders. Das Stockholm-Syndrom ist natürlich ein Thema: Wir von außen sehen den Täter als Täter, die Partnerin kennt aber ja auch seine positiven Seiten, ist da oft viel ambivalenter. Die ökonomischen Sorgen kommen hinzu, sind aber in den letzten 30 Jahren sehr viel weniger relevant geworden. Frauen sind heute ökonomisch unabhängiger, es gibt auch mehr finanzielle Unterstützung für Frauen, die ihre gewalttätigen Männer verlassen wollen.
Welche Möglichkeiten haben Sie bei Fällen, wo sich ein Opfer an Sie wendet, aber nicht zur Polizei gehen will?
Zuerst mal versuche ich zu ergründen, warum das Opfer diesen Weg nicht gehen will. Denn letztendlich kann oft nur die Polizei helfen, so ehrlich muss man sein. Es gibt die Möglichkeit zivilrechtlicher Anträge wie Kontaktverbote, also einstweilige Verfügungen. Wir machen mit dem Opfer eine Gefährlichkeitseinschätzung und erstellen einen individuellen Sicherheitsplan. Wie gut funktioniert das Telefon der Frau am WC? Wie sicher ist sie am Parkplatz? Wie viel Vertrauen hat sie in die Polizei? Wissen die Nachbarn davon? Wie ist ihr Weg in die Arbeit, wo sind die kritischen Momente? Was traut sie dem Mann zu, was nicht?
Wie gut funktioniert das österreichische System des Gewaltschutzes?
Was gut funktioniert, ist die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Opferschutzeinrichtungen. Da haben wir uns zusammenraufen müssen. Wir kriegen ja von der Polizei die Meldungen, das ist gesetzlich so geregelt. Da hat es viel Reibungspotenzial gegeben, aber eben mittlerweile auch viel Erfahrung darin, was gute Kooperation braucht. Das Gleiche gilt bei der Kinder-und Jugendhilfe.
Woran krankt es?
Wir haben zum einen die problematischen Opfer. Die wollen keine Anzeige erstatten, es aber trotzdem bei uns deponieren. Das ist auch eine Botschaft, und mit dieser Botschaft muss ich arbeiten. Die Kinder-und Jugendhilfe muss ich informieren, wenn Kinder gefährdet sind. Dazu bin ich gesetzlich verpflichtet, das sage ich den Opfern auch. Im System haben wir das Problem, dass nicht jeder Mensch das gleiche Vorwissen hat. Bei der Polizei nimmt Gewalt in der Familie in der Grundausbildung zwei Tage ein. Aber im Alltag hat ein Polizist, gerade außerhalb der Ballungsräume, vielleicht alle zwei Jahre mal eine Wegweisung, die er dann zwischen einem Autounfall und einem Diebstahl bearbeitet. Das Gespür für die Bedürfnisse dieser Leute ist dann oft nicht da, was ich auch verstehen kann. Da tut sich aber was. Der Austausch mit dem Justizsystem ist viel schwieriger. Mit den unabhängigen Gerichten, mit den Staatsanwaltschaften würde ich mir mehr Kommunikation wünschen. Es muss ein Bewusstsein dafür geben, dass wir alle am selben Strang ziehen. Wir wollen die Sicherheit erhöhen, auch wenn wir nie alle Femizide verhindern können.
Es gab letztes Jahr eine große Diskussion um Kürzungen, die aber, soweit ich weiß, eher den erweiterten Präventionsbereich betroffen haben, nicht den unmittelbaren Gewaltschutz. Haben Sie etwas davon gemerkt?
Wir waren davon nicht betroffen. Am ehesten haben wir es in der Arbeit mit Migrantinnen gemerkt. Da sind wir auf enge Kooperationen angewiesen. Es sind viele Dolmetscher bei uns tätig. Wir brauchen viele Informationen, auch kulturelle Übersetzungsarbeit. Und da ist es schwieriger geworden, entsprechende Experten zu finden.
In der öffentlichen Debatte kommen Migranten hauptsächlich als Täter vor. Dass sie auch unter den Opfern von Gewalt weit überproportional vertreten sind, geht da manchmal unter.
Seit 2015 ist der Migrantinnenanteil natürlich auch bei uns gestiegen, von rund 17 Prozent auf etwa 30 Prozent. Das ist auch nicht überraschend. Diese Familien bringen patriarchale Strukturen mit. Da sind wir gefordert, dem etwas entgegenzusetzen, so wie wir es auch vor 30 Jahren in Österreich begonnen haben.
Femizid ist kein Migrationsproblem, auch Österreicher bringen Frauen um. Aber unter den 76 Mordverdächtigen hatte letztes Jahr fast die Hälfte nicht die österreichische Staatsbürgerschaft. Das kann man nicht wegdiskutieren. Wie geht man damit um?
Ich glaube, dass der Bedarf, diese Zielgruppen zu erreichen, größer geworden ist. Die brauchen mehr Aufklärung, mehr Unterstützung, auch in den Familien. Die wichtigste und sinnvollste Prävention ist die, die sehr früh passiert, also wenn Kinder ganz klein sind. Die müssen von klein auf die Signale bekommen, dass Gewalt nicht akzeptabel ist, dass Ungleichbehandlung von Frauen nicht akzeptabel ist. Es geht um Klarheit, um Orientierung, nicht um Schuldzuweisung. Da ist vor allem in die Arbeit mit Eltern und Familien zu investieren. Die Kinder-und Jugendhilfe ist da besonders gefordert.
ie Bundesregierung hat eine Reihe von Maßnahmen angekündigt, darunter eine dreistellige Notfallnummer und strengere Strafen. Wie bewerten Sie das?
Vieles ist noch im Ankündigungsstatus, noch ist nicht klar, was daraus wird. Grundsätzlich haben wir in Österreich gute Gesetze, das Gewaltschutzgesetz ist ein großer Erfolg. Man sollte aber nie aufhören, darüber nachzudenken, was man verbessern kann. Wir begrüßen die Pläne, dass zu dem Schutz von Wohnungen auch eine Bannmeile um die gefährdete Person selbst hinzukommen soll. Die neue Notfallrufnummer sehen wir kritischer. Der Ansprechpartner für akute Notfälle ist die Polizei, für alles andere gibt es bereits bestehende Nummern von Beratungsstellen. Letztere kann man gerne vereinfachen, aber diese Trennung aufzuheben ist nicht unproblematisch.
Täterarbeit ist auch ein Thema, das immer wieder genannt wird.
Täterarbeit ist vor allem bei Hochrisikofällen wichtig. Wenn ein Mann gefährlich ist, aber nicht inhaftiert werden kann, dann braucht es auch für ihn einen Ansprechpartner. Ich habe es ja schon erwähnt: Der Mann ist im Tunnel. Den muss jemand abholen. Das gibt es aktuell nicht verpflichtend, und das fehlt uns. Bei der Männerberatung Steiermark können Männer, die weggewiesen wurden, jeden Tag zwischen zehn und elf Uhr ohne Anmeldung vorbeikommen oder anrufen. Sie kriegen dann Information und Unterstützung. Das finde ich sehr sinnvoll.
Es gibt große Diskussionen um den Begriff Beziehungsdrama. Die Argumente dagegen sind verständlich, allerdings handelt es sich überwiegend um Taten im Nahbereich. Das nicht abzubilden, wäre auch falsch. Welchen Begriff würden Sie sich wünschen?
Das ist eine schwierige Frage. Für mich ist wichtig, dass diese Beziehungen als das benannt werden, was sie sind: Gewaltbeziehungen. Das heißt, dass innerhalb dieser Beziehungen Gewalt die Bewältigungsstrategie für Stresssituationen ist.
Gibt es sonst etwas an der medialen Darstellung von Frauenmorden, das sie ärgert?
Es werden immer wieder Rechtfertigungen gesucht für Gewalt: Der Mann hat die Frau erstochen, weil sie die Scheidung wollte. Damit schiebt man dem Opfer die Mitverantwortung zu. Diese Sichtweise lähmt unsere Arbeit. Wir sind nicht dagegen, den Täter zu verstehen. Natürlich handelt er aus einer Ohnmachtssituation heraus. Das Ziel kann aber nicht sein, den Täter vor diesen Situationen zu schützen. Sondern seine Bewältigungsstrategie gegenüber dieser Ohnmacht zu verändern.
ZUR PERSON
Marina Sorgo ist Sozialarbeiterin und seit über 30 Jahren im Bereich Gewaltschutz tätig. Sie hat zwölf Jahre in einem Frauenhaus gearbeitet, seit 1995 leitet sie das Gewaltschutzzentrum Steiermark. Sie arbeitet mit Opfern, macht Schulungen für Polizei und Justiz und berät mit ihrer Institution die Politik im Gesetzgebungsprozess.