›Hallo, ich liebe die Fotografie‹

EIN INTERVIEW MIT MATTHIAS CREMER

Matthias Cremer ist einer der bekanntesten Pressefotografen Österreichs. Er hat über 30 Jahre für den STANDARD fotografiert und dabei unzählige kleinere und größere historische Momente festgehalten. Er ist auch auf vielen Aufnahmen seiner Kollegen im Hintergrund verewigt, stets mit seiner unverwechselbaren Lockenmähne. Seit Mitte 2021 ist er in Pension.

Matthias und ich kennen uns, weil wir für den STANDARD ein paar Geschichten gemeinsam gemacht haben. Ende Jänner 2024 hat er sich im Rahmen eines Porträt-Workshops, den ich bei der Österreichischen Medienakademie gehalten habe, von mir vor der Klasse interviewen lassen. Das Ergebnis war eigentlich nicht zur Publikation bestimmt. Nachdem es aber ein schönes Gespräch über sein Leben und seine Arbeit geworden ist, hat mich der Gedanke nicht losgelassen, dass ich es irgendwann doch noch transkribieren sollte. Seit Anfang 2025 veröffentlicht Matthias Teile seines Archivs auf einem eigenen Bluesky-Account (Link dazu hier), Das war der nötige Anschub, es endlich doch zu tun.

(Hinweis: Der Text wurde gekürzt und zwecks Lesbarkeit bearbeitet, ist aber relativ nahe am Transkript)

Matthias, fangen wir mal in der Gegenwart an. Erzähl von deiner jetzigen Lebenssituation. Du bist in Pension seit…?

Der 1. Juli 2021 war mein erster Pensionstag.

Was hat sich verändert seitdem? Was machst du jetzt den ganzen Tag?

Das Offensichtlichste: Ich habe keine Aufträge mehr und fotografiere fast nicht. Ich bin viel mehr im Burgenland im Garten als in Wien. Und ich beschäftige mich jetzt mehr mit den Sachen, die ich mal fotografiert habe und schaue dort ein bisschen durch. Also ich nutze die Zeit dafür, einen zweiten Blick auf die Dinge zu werfen.

Das heißt, du gehst dein Archiv durch.

Ich überlege mir vor allem Strategien, wie ich das so mache, dass meine Lebenszeit nicht allzu sehr abgekürzt wird. Das sind ja weit mehr als eine Million Bilder.

Du kannst nicht sagen, wie viele es genau sind, oder?

In circa einem Jahr kann ich es dir vermutlich ziemlich genau sagen. Aus meinen digitalen Jahren – das sind die seit 2000 – sind es schon mal etwa eine Million. Ich hab aber auch aus den zwölf Jahren beim STANDARD davor tatsächlich fast alles aufgehoben, auch die Negative. Die stehen hier in Schachteln im Burgenland herum. Die muss ich teilweise erstmal pflegen. Das ist auch technisch gar nicht so einfach, aber daran arbeite ich. (Update Jänner 2025: Matthias steht aktuell bei circa 300.000 analogen Fotos) 

Wenn man als Fotograf sein Archiv zurückgeht, ist das dann eine Reise in die eigene Vergangenheit? Wie fühlt sich das an?

Ja, es ist eine Reise in die Vergangenheit, bei der man Revue passieren lässt. Es ist auch hochinteressant, weil ich die Bilder damals zwar mit denselben Augen gesehen habe, aber mit ganz anderen Hintergrundwissen. Manchmal schau ich ein Negativ an und denke mir: Aha, da hatte ich eine selektive Wahrnehmung bzw Erinnerung. Man findet auch Fotos, die damals völlig unterverkauft waren, weil nur in einem Einspalter irgendwo im Print erschienen sind. Es ist ein gutes Gefühl, solche solche Schätze zu finden.

Die Erinnerung an die Fotos korreliert wahrscheinlich mit der Wichtigkeit der Termine, oder?

Es gibt einen Haufen Termine, die habe ich recht erfolgreich verdrängt, weil sie uninteressant waren. Aber es gibt auch Sachen, die jetzt nicht historisch interessant sind, aber aus irgendeinem Grund herausstechen. Manchmal findet man Fotos von diesen Terminen und denkt, das ist eigentlich so ein großartiges, schönes Foto, das war mir damals gar nicht so bewusst. Es ist so ein bisschen wie ein Wein, der mit dem Alter immer besser wird. Du willst jetzt sicher wissen, an was für ein Foto ich denke.

Natürlich.

Da gibt es einen Termin, der ist regelmäßig zu Jahresanfang. Das ist der diplomatische Neujahrsempfang in der Hofburg des Bundespräsidenten. Da kommen die Vertreter und Vertreterinnen aller Länder zusammen, hauptsächlich Männer. Die stellen sich im Kreis auf und dann redet der Nuntius. Die meisten tragen Anzug, aber da gibt es auch manche, die in ihren Landestrachten kommen. Ich hab den Empfang zwei, drei Jahre fotografiert. Einmal hat vor mir ein Teilnehmer in einem weißen Umhang den Spiegelsalon im Leopoldinischen Trakt der Hofburg durchschritten. Das ganze Foto schaut irgendwie unwirklich aus, wie aus irgendeinem Märchen. Je öfter ich mir das ansehe, desto mehr freut es mich, dass ich es gemacht habe.

Springen wir mal ganz weit zurück. Wie hast du angefangen? Wie bist du zur Fotografie gekommen?

Ich hab ja, so wie du, auch deutsche Wurzeln. Ich bin in Wien aufgewachsen, hatte aber einen Großvater in Deutschland, der war Kinderarzt. Der hat irgendwann einmal ein Fotobuch geschenkt bekommen von einer Pharmafirma. Das hieß „Kinder aus aller Welt“. Das haben wir sehr oft durchgeschaut gemeinsam, ich hab die 150 Fotos darin fast auswendig gekannt. Mein Großvater hat mir dann irgendwann seine alte Spiegelreflexkamera geschenkt. Richtig aufs Fotografieren gebracht hat mich ein Lehrer in der Schule. Das war ein sehr netter, sehr offener Künstler. Ich hab dann als Jugendlicher ein bisschen Kunstfotografie gemacht. Wir sind dem Fahrrad zu alten Fabriken gefahren, sowas. Ich habe dann auch die Plätze in Wien, an denen ich als Kind gelebt oder gespielt habe, fotografiert. Das war wirklich eine wichtige Sache für mich.

Du hast den Fischmarkt am Donaukanal noch fotografiert, die Fotos habe ich mal gesehen.

Das war meine erste wirklich ernstzunehmende Photoserie. So mit 15 oder 16 Jahren, den Fischmarkt haben sie ja Anfang der 70er abgerissen. Mir war das wichtig, den festzuhalten. So habe ich begonnen. Bisschen die Menschen in der Umgebung fotografiert, die Stadt, auch ein wenig ausgestellt. Mit 18 Jahren hab ich dann angefangen, verschiedenste Sachen zu arbeiten, weil mich das so eine normale Ausbildung irgendwie nicht interessiert hat. Fast zehn Jahre lang hab ich wirklich sehr viel Unterschiedliches gemacht.

Du warst unter anderem mal Knecht. Magst du die Geschichte erzählen?

Ja, die Knecht-Geschichte (lacht). Wir waren damals in Wohngemeinschaften organisiert. Also eigentlich waren das Kommunen, kann man fast sagen. Unsere war die Windmühlgasse, da gab es noch die Apollogasse und die Gumpi, also die Gumpendorferstraße, und alle möglichen anderen. Meine Wohnung hatte 480 Quadratmeter, das waren dann zehn, 15 Leute. Und es gab dann irgendwann den Punkt, dass ich die Leute nicht mehr gekannt habe, die da ein und ausgegangen sind. Dann bin ich eine Zeitlang zu den Apollos geflüchtet. Ich war zu dem Zeitpunkt immer nur in Wien gewesen und hab mir einfach gedacht, ich schau jetzt, wie ist das Leben außerhalb der Stadt ist. Ich habe mich auf die Autobahn gestellt und den Daumen raus gehalten. Mit ein paar Umwegen ist es mir dann tatsächlich auch gelungen, einen Bergbauern in der Steiermark zu finden, bei dem ich Jahr lang gearbeitet habe.

Wie alt warst du da ungefähr?

Wahrscheinlich so 23. Das hab ich ein Jahr lang gemacht. Nach meiner Rückkehr hatte ich verschiedene Jobs, alles halt eher unter der Hand: als Elektriker, als Tischler, ich hab auch geputzt und ausgemalt, alles Mögliche. Mein letzter Job war in einer kleinen Fabrik, wo sie Webstühle gefertigt haben. Ich hab mich auf diese ganzen Sachen eingelassen, aber irgendwann wollte ich ich mich wieder langfristig auf eine Sache fokussieren. Dann habe ich mich hingesetzt und überlegt, was ich mache und was mir am liebsten ist.

Das war die Fotografie, nehm ich an.

Nein, die Fotografie war mein Plan B. Eigentlich wollte ich Chinesisch studieren. Ich war immer sehr interessiert an chinesischer Kultur. Ich hab mir auch gedacht, dass ist eine Zukunftsinvestition, China wird wirtschaftlich irgendwann einmal aufholen. Da hab ich ja auch Recht behalten.

Hast du dann Chinesisch studiert?

Ja. Fünf, sechs Wochen lang lief es auch wirklich gut. Dann hab ich erkannt, wie wahnsinnig dieses Unterfangen ist. Weil ich hätte fünf Jahre lang wirklich hart büffeln müssen und dann so etwas wie Maturaniveau zu erreichen. Da wäre ich noch weit entfernt gewesen von irgendwelchen philosophischen Büchern oder so was. Da wollte ich dann doch lieber fotografieren.

Hast du schon zwischen der Schule und diesem Zeitpunkt durchgehend fotografiert oder hast du es auch irgendwann mal gelassen?

Ich hab es phasenweise schon immer wieder mal sein gelassen. Die Zeit in der Wohngemeinschaft war manchmal relativ konfliktbeladen, das Jahr als Knecht war einfach sehr anstrengend. Aber ich hab es dann immer wieder aufgenommen und neben den diversen Jobs parallel gemacht. Ich hab zum Beispiel auch mal den Falter ausgetragen, war einer meiner lukrativsten und angenehmsten Jobs. Da hab ich mal beim Austragen mit dem Fahrrad im zehnten Bezirk alte Häuser gesehen, die kurz vor dem Abriss standen. Ich bin damit zum Falter gegangen, weil mich das sehr bewegt hat. Armin Thurnher hat dann dazu recherchiert, und es ist eine Doppelseite im Falter geworden. Das war die erste große Geschichte, die ich fotografiert habe. Ich habe dann irgendwann beschlossen, ich mache nichts mehr anderes, ich verdiene mein Geld nur mit Fotografie. Und das hat auch sofort irgendwie funktioniert. Ich hab viel beim Falter fotografiert, andere Jobs sind mir irgendwie zugeflogen. Das muss so 1983 gewesen sein.

Damit ich die Chronologie verstehe: Wo stehen wir jetzt? Du bist 27, 28 Jahre alt und entscheidest dich, dass du nur mehr fotografieren möchtest. Das läuft gut an. Wie ging es weiter?

Ich hab mir dann gedacht, wenn ich das jetzt wirklich auf ein ernsthaftes Fundament stellen will, muss ich mich doch noch um eine Ausbildung kümmern. Es gab damals dafür aber nur die Graphische. Mich da mit 27 Jahren nochmal neben 14-Jährige hinzusetzen, das wollte ich nicht. Man hat mir dann den Tipp gegeben, dass Erich Lessing auf der Angewandten den Gastprofessur hat. Der würde sowas wie ein außerordentlicher Seminar anbieten. Lessing war ein ernstzunehmender Pressefotograf, der hat seine Fotobücher gemacht und war auch als einer von wenigen Österreichern bei Magnum. Dieses Seminar hab ich dann gemacht.

Wie war das für dich?

Das war wirklich toll und wichtig. Da waren eigentlich nur wenige Gespräche, die aber sehr intensiv waren. Man hat oft die Fotos in der Gruppe – anfangs waren wir so 30-40 Leute – besprochen. Lessing hat in seinem Feedback manchmal ruppig gewirkt, aber er hat die Fotos tatsächlich sehr schnell und knackig analysiert und gesagt, was wichtig ist. Er hat mich zum Beispiel so Sachen gefragt wie: Was will ich eigentlich mit dem Foto? Da musst du dich entscheiden, du kannst in einem Foto nicht drei verschiedene Gedanken unterbringen; hier musst du näher ran und nicht weiter weg und so weiter. Da waren wichtige Lehren für mich.

War das ein Seminar oder wie lang bist du dabei geblieben?

Lessing war damals viel in Europa unterwegs und hat in den wenigen Wochen, die er in Wien war, immer ein Seminar gemacht. Die meisten anderen Teilnehmer sind mit der Zeit weggebrochen, am Ende waren es nur mehr ich und ein zweiter. Ich war dann auch oft bei ihm zu Hause und habe seine Frau kennengelernt. Die Frau ist eine ganz gestandene Journalistin, die Traudl Lessing, und die hat damals für das Time Magazine gearbeitet. Das hab ich mitbekommen und gefragt, ob man da nicht irgendwie andocken könnte. Sie meinte: Wir können es probieren. Ich schreibe gerade was über den Thomas Bernhard. Ich kann dich nicht beauftragen, aber wenn du Fotos hast, dann kann ich die mitschicken und dann schauen wir mal. Und ich hab ein dann als einziger Journalist in Österreich geschafft, ein aktuelles Foto von Thomas Bernhard zu bekommen.

Wie geht die Geschichte nochmal? Du hast ihn einfach im Kaffeehaus oder in irgendeinem Gastgarten sitzen sehen, oder?

Damals, das muss 1984 gewesen sein, ist gerade das Buch „Holzfällen“ von Thomas Bernhard beschlagnahmt worden. In dem Buch geht es um einen Künstler, der sich zurückzieht aus der Welt und mit niemandem was zu tun haben will. Und irgendwann einmal beschließt er, doch wieder in die Öffentlichkeit zu gehen. Diese Rückkehr in die Öffentlichkeit, die findet am Graben statt, in einem Kaffeehaus. Ich hab mir gedacht: Ok, dann gehe ich jetzt zum Graben und schau, ob ich etwas fotografieren kann, was man irgendwie damit in Verbindung bringen kann. Und dann sitzt dort in einem Kaffeehaus im Gastgarten jemand, der ausschaut wie Thomas Bernhard. Ich hab ihn dann eine halbe Stunde lang nervös umkreist. Als er aufgestanden ist, hab ich ihn gefragt „Entschuldigung, sind Sie der Thomas Bernhard?“ Er war extrem nett und höflich, hat sich für ein Foto hingestellt und ist gegangen.

Dann hattest du dein Thomas-Bernhard-Foto.

Man muss dazu wissen, wie extrem schwierig er im Umgang mit Journalisten war. Es gibt etliche Storys von TV-Teams, die ihn in seinem Haus in Oberösterreich für ein ausgemachtes Interview besucht haben und er hat sie nicht reinlassen hat oder so getan, als wäre er nicht da. Das Time Magazin hat die Geschichte, die die Traudl Lessing geschrieben hat, wie fast immer nicht gebracht. Sie hat gesagt: Matthias, gräm dich nicht, das hat nichts mit uns zu tun. Das war damals üblich, das Heft vier- bis fünfmal zu überzeichnen. Man hat also jede Woche Material für vier bis fünf Hefte produziert und im letzten Augenblick entschieden, was sie denn überhaupt jetzt hinein nehmen. Der Rest ist weggeschmissen worden, wurde aber natürlich bezahlt. Und dann ist das nächste Heft gemacht worden, wieder fünfmal überzeichnet. Die hatten wirklich Geld zum Abwinken und auch die interessantesten Fotos. Mehr ging zu der Zeit nicht. Relativ bald danach kam dann mein großer Karriere-Pusher, Waldheim. Ohne Waldheim wäre ich nicht das, was ich heute bin.

Es geht um den Bundespräsidentenwahlkampf 1986.

Das Time Magazine hat mich einen Tag, einen zweiten Tag, einen dritten, einen vierten, einen fünften beauftragt, Waldheim-Wahlkampf fotografieren. Das war gut bezahlt, 500 Dollar pro Tag, das war für mich viel Geld damals. Sie haben zusätzlich noch zwei Fotografen aus Paris eingeflogen. Die sind wochenlang im Intercontinental, damals die erste Adresse in Wien, gesessen und haben nur Waldheim fotografiert. Es waren also drei Fotografen auf ihn angesetzt, heute nicht mehr vorstellbar. Dann ist irgendwann das Heft rausgekommen. Am Cover war leider ein Archivbild, aber die Fotos drin waren alle von mir. Die Leute haben gesagt: Matthias, you made it. Da war ich schon wirklich ziemlich stolz, weil es war ja ein bisschen der Falco-Moment, wo du sagst: Ok, du hast eine Time-Coverstory, mehr geht nicht.

Zwei Jahre später, 1988, ist dann der STANDARD gestartet. Wie bist du dahin gekommen?

Ich habe im Falter gelesen, dass es so ein Projekt gibt. Ich wollte da wirklich dringend hin, wollte auch immer schon Tageszeitung machen. Also hab ich allen Leute, die ich dort gekannt habe, gesagt „Hallo, liebe ich die Fotografie und würde das wirklich gerne machen“. Nach drei Wochen hat mich tatsächlich Frau Rausch, die Sekretärin von Oscar Bronner, angerufen, ob ich mich nicht vorstellen kommen mag. Am Ende hat sie auch noch einen völlig abstrusen Satz gesagt: Herr Cremer, eines sage ich Ihnen auch gleich vorneweg Wir nehmen Sie nur, wenn Sie sich auch anstellen lassen. Ich habe wirklich zehn Jahre lang versucht zu recherchieren, wieso es zu diesem seltsamen Satz gekommen ist.

Hast du irgendwann rausgefunden, warum sie das gesagt haben?

Nein, keiner der Beteiligten konnte sich mehr daran erinnern. Die Frau Rausch weiß es nicht mehr, auch der erste Chefredakteur Gerfried Sperl nicht. Mit Sperl und Bronner hatte ich dann einen Termin. Da habe ich meine Sachen hergezeigt und habe das auch ein bisschen so dramaturgisch gemacht. Also von Sachen im kleinen Wien Magazin hin zu dem Fotobuch über den Donaukanal, das ich einem Verlag mal eingeredet habe. Der Höhepunkt war natürlich die Coverstory vom Time Magazine. Das hat dann auch ziemlich gewirkt. Irgendwann hat Bronner mich angeschaut und gefragt, was ich mir vorstellen würde, geldmäßig. Auf die Frage war ich überhaupt nicht vorbereitet. Sch hab dann irgendeine Zahl gesagt und er hat sofort gesagt: Ja, ist in Ordnung.

Klingt nach einer Geschichte aus einer sehr anderen Zeit.

Es wäre wahrscheinlich relativ wurscht gewesen, was ich sage, wir hätten uns schon irgendwie getroffen. Es hat sich da aber auch wieder etwas gezeigt, das ich als Lebensregel mitgenommen hab: Wenn man sich irgendwo für Jobs bewirbt, wollen die Leute nicht Fotos sehen, sondern Fotos, die mal abgedruckt wurden. Wahrscheinlich, weil das ein Beweis ist, dass sich schon mal jemand getraut hat, dir Geld für einen Job zu geben und es nicht bereut hat. Die einzigen, denen das völlig wurscht war, war der Falter. Die haben damals so schlecht bezahlt, dass sie froh waren, wenn wer Neues bei Ihnen aufgetaucht ist. Deswegen gibt es ja auch niemanden in der Szene, der nicht irgendwann mal beim Falter angefangen hat.

Wie waren die Anfänge beim STANDARD?

Am Anfang war es ein bisschen seltsam. Ich hatte keine Ahnung, wie ein Tageszeitungsbetrieb funktioniert und hab es erstmal auf mich zukommen lassen. Ich kann mich zum Beispiel noch daran erinnern, wie ich ein Interview von Gerold Christian mit Anton Benya fotografiert hab. Christian war unser Innenpolitikchef, der vorher übrigens Pressesprecher beim Waldheim war. Ich bin um sieben in der Früh – völlig irrsinnige Zeit – zu Benya ins Büro im zwölften Bezirk in der Wolfganggasse. Die Sekretärin lässt mich ins Zimmer, wo Christian und Benya schon sitzen. Ich war es vom Falter gewohnt, dass man sich als Fotograf halt dazu setzt und ein bisschen mit plaudert. Aber die haben mich beide angeglotzt und gewartet, dass ich meine Fotos mache und dass ich dann wieder gehe. Sowas hat dann aber recht schnell eingespielt.

Wart ihr von Beginn an ein richtiges Fototeam?

Weder ich noch der STANDARD hatte wirklich Erfahrung mit sowas. Es hat dann sehr bald eine Frau, die vorher Sekretärin in der Kultur war, sich aber sehr für Fotos interessiert hat, die Redaktionsarbeit für die Fotoredaktion übernommen. Wir brauchten auch mehr Fotografen. Ich hab dann ein Konzept gemacht, wie man das bezahlt, auch Kolleginnen und Kollegen kontaktiert. Wir hatten dann schnell so fünf, sechs Fotografinnen und Fotografen beisammen. Das war übrigens fast dieselbe Partie wie heute noch, wir waren so etwas wie eine Zeitkapsel im STANDARD. Wichtig war damals, dass wir alle keine Tageszeitungserfahrung hatten. Deshalb haben wir die Dinge zwangsläufig ein bisschen anders gemacht als die anderen.

Kannst du ein Beispiel dafür geben?

Ich erinnere mich an den Untersuchungsausschuss, den ich erlebt habe. Das war entweder Lucona oder Noricum, also einer der großen Skandale der späten 80er bzw ganz frühen 90er. Da ist der verantwortliche Innenminister Karl Blecha in den Raum gekommen, und zehn Fotografen sind ihm mit der Kamera quasi ins Gesicht gesprungen, um ihn von besonders nahe zu fotografieren. Ich bin dann dort auf den Tisch gestiegen und habe versucht, diese seltsame Situation von oben zu fotografieren. Also wie der Mensch da umringt wird, das war für mich die eigentliche Geschichte. Sowas ist heute normal. Aber damals haben wir es geschafft, innerhalb von kurzer Zeit eine andere Bildsprache zu entwickeln als alle anderen. Das war mir eine Freude.

Zu dir waren eigentlich immer alle Parteien verhältnismäßig nett, oder? Also du warst als Person recht beliebt?

Mein Selbstverständnis ist: Ich halte nichts davon, dass man jemanden auch nur ansatzweise meuchelt. Ich würde da auch an Glaubwürdigkeit verlieren. Aber mich haben auch nicht alle gemocht. Was mich tatsächlich ein bisschen gewurmt hat, war zum Beispiel Strache. Ich find, ich hab den nie böse behandelt. Nach seiner Abschieds-Pressekonferenz – das war dieses komische Weinlokal, falls du dich erinnerst – hat er aber wohl zu einem Kollegen gesagt: Die Leute seien ihm ja schon ans Herz gewachsen, nur beim Cremer, da sei er froh, wenn er den nicht mehr sehen müsse. Wer kurzzeitig auch richtig sauer war, waren die Faymann-Leute.

Da gehts wahrscheinlich um das legendäre Foto, wo er vor dem Bundesadler steht und die Federn wie ein Kopfschmuck ausschauen.

Sie hätten das damals auch mit Humor nehmen können, haben sie aber nicht. Man muss aber sagen, dass sich Faymann selbst danach immer, wenn wir uns getroffen haben, an dieses Foto erinnert und durchaus mit Anerkennung reagiert hat. Ich erinnere mich, dass er mal mit einer Delegation aus dem Ausland an mir vorbei ist und zu denen meinte „Das ist einer unser besten hier“. Dabei war der eigentlich bekannt dafür, sich bei Leuten namentlich vorzustellen, die ihn schon 50 Mal getroffen hatten.

Du hast über die Jahre mitbekommen, wie sich die Pressefotolandschaft verändert hat. Was ist der große Unterschied zum Beispiel zu den Neunzigern?

Das ist leider eigentlich recht schnell gesagt: In den Neunzigern und auch in der ersten Hälfte der Nullerjahre war Geld da. Es war kein Problem, wenn man das Budget überzogen hat. Der Kurier wollte mich mal vom STANDARD weg engagieren und hat einfach gesagt: Ok, wir zahlen dir das Doppelte. Dann kamen das erste Sparpaket, dann das zweite, irgendwann hat man kleine Fotos nur mehr von Agenturen genommen. Es ist einfach immer weniger Geld geworden. Das gilt natürlich für alle Bereiche in den Medien, aber bei den Fotografen ist die Situation nochmal eine andere, weil die ja alle nicht angestellt sind. Früher konnte man davon gut leben. Das hat sich leider grundlegend geändert.

Du hast den letzten Trend noch mitbekommen, dass Medien plötzlich Fotos des Bundeskanzleramts oä einfach wie journalistische Fotos abdrucken. Wie ist dein Blick darauf?

Am Anfang hat mich das gar nicht so gestört. Man kennt ja die Leute oft, die dort fotografieren, es sind eh schöne Bilder, man kommt als Zeitung zu Fotos, die kriegst sonst nicht usw. Das war meine erste Reaktion, als das nur sporadisch war. Der Gedanke, dass das eigentlich nicht geht, auch journalistisch nicht, ist dann aber zunehmend stärker geworden. Der Moment, wo mir klar geworden, wie giftig das für den Journalismus ist, war der Besuch von Kurz im Kleinwalsertal. Zu einer Zeit, wo alle Menschen einen Babyelefanten-Abstand halten sollen, macht der Bundeskanzler Selfies mit den Leuten, und es gibt einfach keine Fotos davon. Hätten nicht die Vorarlberger Nachrichten ein Videoteam vor Ort gehabt, hätte das niemand dokumentiert. Das war so ein bisschen mein Aha-Moment. Seitdem versuche ich auch den Kolleginnen und Kollegen, die bei der APA arbeiten, zu erklären, dass das ganz schlecht ist, wenn man solche Fokus in dem Strom der journalistischen Bilder mitliefert. Ich find das eine wirklich schlimme Entwicklung.

Korrekturhinweis: In einer früheren Version dieses Texts war als Zeitpunkt des Interviews Jänner 2023 angegeben, es war aber 2024.