Kleine Visionen

ERSCHIENEN IN DATUM 06/2021

Seit 17 Jahren ist Ulli Sima Mitglied der Stadtregierung. Ihr öffentlicher Auftritt wirkt stellenweise skurril und unpolitisch. Man sollte sich davon nicht täuschen lassen.

Eine Woche im Leben der Ulli Sima kann ziemlich aufregend sein. Am Samstag steht sie mit wehenden Haaren auf einem Radweg. Am Sonntag backt sie Himbeermuffins. Am Montag startet sie eine Bürgerbeteiligung. Am Dienstag weiht sie eine Infotafel am Schwendermarkt ein. Am Mittwoch posiert sie mit neuen Lebensmittelkontrolleuren. Am Donnerstag bestaunt sie eine Kunstinstallation. Am Freitag feiert sie den Earth Day. Auf den Social-Media-Kanälen der Wiener Stadträtin gilt „Good Vibes only“. Man verrät nicht zu viel, wenn man sagt, dass dahinter wohl auch ein gutes Stück Kalkül stecken dürfte.

Ulrike Sima, die schon so lange Ulli heißt, dass auch die meisten Medien diese Kurzform übernehmen, ist seit 17 Jahren Stadträtin in Wien. Die 52-Jährige war in der Stadtregierung lange für Umwelt zuständig, hatte die letzten fünf Jahre aber auch Brocken wie die Wiener Linien oder die Stadtwerke in ihrem Ressort. Sima gilt als beinharter Machtmensch mit einem besonderen Blick für öffentliche Wirkung. Der Kurier nannte sie eine „Populismus -Stadträtin“. Das ist gemein, darin steckt aber vermutlich ein Funken Wahrheit.

Seit knapp einem halben Jahr steht die Politikerin einem neuen „Innovationsressort“ vor: Verkehr, Stadtplanung, Digitales. In den ersten Monaten nach ihrem Antritt im neuen Ressort wurden einige Projekte ihrer Vorgängerinnen, wie die autofreie Innere Stadt, gestoppt. Pop-Up-Radwege werde es mit ihr nicht geben, sagte sie in Interviews. In Wiens Rad-Community rumort es seitdem deutlich. Das Bild, das sich durchsetzte, war :Eine Mobilitätsstadträtin, die gegen Radwege ist.

„Ja, das wundert mich auch etwas¡, sagt Sima. Es ist ein Dienstag im Mai, die Stadträtin sitzt in ihrem geräumigen Büro im Rathaus, mit Blick Richtung Universität. „Man will mich da in ein Betonierer-Autofahrer-Eck stellen, in dem ich mich überhaupt nicht zu Hause fühle“. Sima führt das auch darauf zurück, dass die Grünen –  bislang für Verkehr und Stadtplanung zuständig – das Ende der Koalition nicht verwunden hätten. Und doch haben sich mit der neuen Ressortchefin Dinge verschoben, in den Prioritäten wie in der Kommunikation. „Ich hab versucht, ein bisschen wegzukommen von dem polarisierenden Jeder gegen Jeden, hin zu einem Miteinander“, sagt Sima. Die Menschen würden alle Verkehrsmittel nutzen, es sei falsch, diese gegeneinander auszuspielen. „Wenn man in ein bis zwei Jahren Bilanz ziehen wird, wird man vielleicht sagen, dass wir mehr für die Radfahrer tun konnten als die Grünen, weil wir auf Kooperation mit den Bezirken setzen.“ Die Bezirksvorsteher seien keine strukturkonservativen Blockierer. Sie würden sich förmlich überschlagen mit Vorschlägen, man müsse sie nur abholen.

„Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, es wäre Liebe auf den ersten Blick gewesen. Aber nach all den Jahren ist es nun echt spannend, was Neues zu machen, die Gestaltung des öffentlichen Raums ist eine tolle Aufgabe“, sagt Sima über ihren neuen Job. Sie hat ihr altes Ressort – das sie an Jürgen Czernohorszky abtreten musste, weil die Bildung an die Neos ging – sehr gemocht. Das merkt man, wenn sie über ihre alten Abteilungen redet und sich der Ton in der Stimme leicht verändert. Oder wenn sie nach dem Interview noch die Müllmonster auf dem Sideboard neben ihrem Schreibtisch herzeigt. Grimmige, grüne Gummimonster aus Müll, die ihr die MA48 (Abfallwirtschaft) geschenkt hat. Eines für jedes Jahr, in dem sie für die Abteilung zuständig war.

Manches im Leben der Politikerin Sima ist neu, aber auch nicht alles. Das Umgestalten, das ist ihr geblieben. Früher waren es Parks, jetzt sind es Straßen und Plätze. „Ich bin noch sehr damit beschäftigt, viele Dinge abzuarbeiten, die liegen geblieben sind“, sagt Sima. Viele Vorhaben – wie das stadtweit einheitliche Parkpickerl – seien angerissen, aber nie auf den Boden gebracht worden. Einen Machtverlust, wie ihn ihr Journalisten attestierten, sieht sie nicht. Stadtplanung sei ein extrem zukunftsweisender und gestaltungsreicher Bereich. „Man kann viel verändern“, sagt Sima. „Und das hat mir immer Spaß gemacht: Etwas zu tun, wenn ich Missstände sehe.“

Wenn Sima von Missständen redet, geht es nicht um Dinge wie die Unterdrückung der Arbeiterschaft im Turbokapitalismus, sondern wie ein Platz ausschaut oder dass ein Gastronomiestandort verkommt. Von Sima würde niemand eine flammende Rede zur Zukunft der Sozialdemokratie erwarten. Das große Bild ist ihre Sache nicht. Sie ist eine Frau der lokal begrenzten Visionen, kombiniert mit dem Willen, diese auch durchzusetzen. Mit dieser Kombination hat sie in den letzten 17 Jahren überall in der Stadt ihre Spuren hinterlassen. Die Errichtung des Wientalradwegs fällt in ihre Amtzeit, der Neustart an der Copa Cagrana, die Umgestaltung des Cobenzls. Sima verbannte das Essen aus der U-Bahn, war der Kopf hinter der „Sackerl für dein Gackerl“-Kampagne und setzte das Verbot des Kleinen Glücksspiels um, das ihr von einem Parteitagsbeschluss aufgetragen wurde. Simas Projekte haben die Stadt sauberer, grüner und schöner, aber auch stromlinienförmiger gemacht. Die Hängenden Gärten, eine Plattform über der Kaiserbadschleuse am Donaukanal, sind dafür ein gutes Beispiel: Es ist ein aufgeräumter Freiraum. Durchaus angenehm, aber eben auch von der Stadt gestaltet und gewährt, nicht von ihren Bürgern erobert.

Ex-Bürgermeister Michael Häupl gilt als einer der größten Förderer Simas. Er ließ ihr -wie meistens bei seinen Stadträten – immer wieder freie Hand. Sie musste die Projekte aber auch selbst intern durchsetzen. Das kann sie. „Sima hat Power“, sagt jemand aus dem Rathaus. Auch die Wiener Grünen, zehn Jahre mit ihr in einer Koalition, beschreiben sie als selbstbewusste Machtpolitikerin. „Die scheißt sich nix“, hört man immer wieder.

Es gibt zwei Zuschreibungen, ohne die kaum ein Artikel über Ulli Sima auskommt. Das ist zum einen die „Stadträtin fürs Grobe“, was auch daher kommt, dass bei ihr oft Abteilungen landen, die eine Strukturreform brauchen. Das nimmt Sima manchmal ernster, als es den Betroffenen lieb ist. 2016 wanderten die Stadtwerke zu ihr, Sima rührte den verfilzten Riesen ordentlich um. Die zweite Zuschreibung ist die Politikerin „ohne Hausmacht“. Spricht man sie darauf an, verweist sie auf ihre Herkunft aus der starken Bezirksgruppe Ottakring. Aber eigentlich meinen die Leute damit etwas anderes. Sima gilt als keinem Flügel zugehörig, ist keine Parteilinke und keine von den „Faymännern“. Manch einer in der Partei ätzt sogar leise, dass es gar nicht so einfach zu benennen sei, was an ihr eigentlich sozialdemokratisch wäre.

In der Politik kann eine klare ideologische Linie heute eine Leiter sein und morgen ein Gewicht am Fuß. Sima verzichtet gerne auf die Leiter, wenn sie dafür auch vom Gewicht verschont bleibt. Sie hat ihre vermeintliche Leichtigkeit zur Tugend erhoben und stört sich nicht mehr daran, wenn man sie unterschätzt. Es gilt die einfache Regel: Wer sich in der SpÖ Wien 17 Jahre lang als Stadträtin hält, der versteht etwas von Politik.

In der Öffentlichkeit ist Sima vor allem für ihre teilweise schrillen Auftritte bekannt. Und dafür, dass die Stadträtin, die seit Langem im Bereich des öffentlichen Raumes arbeitet, diesen gerne mit ihrem Gesicht besetzt. Gefühlt gibt es in der Stadt kaum eine Grünanlage, in der Sima nicht von einem Schild lächelt. Laut einer Anfragebeantwortung aus dem Februar sind es nur 99 Tafeln, das reicht aber. Sima selbst wischt das weg. Sie sei halt schon so lange im Amt. Sima hat für eine Stadträtin extrem hohe Bekanntheitswerte, was natürlich auch an diesen Schildern liegt. Ihr Nachfolger Czernohorszky sieht darin keinen gesteigerten Nutzen. Im Jänner ließ er mitteilen, dass die Stadt die Schilder sukzessive austauschen wird, diesmal ohne Gesicht.

Ulli Sima liegt die Politik in den Genen. Sie wird 1968 in Klagenfurt in eine prominente Politfamilie geboren. Ihr Großvater ist von 1965 bis 1974 Landeshauptmann von Kärnten. Sie wächst bei ihrer Mutter auf, die sie anfangs allein großzieht. Besonders politisch ist ihre Jugend nicht. „Die Kinder von Politikern wollen damit meistens nichts zu tun haben“, sagt Sima über ihren Vater, auch ihre Kinder wollten das auf keinen Fall. „Aber meine Mutter hat mir beigebracht, dass man um die Dinge kämpfen muss und sich nicht wegducken darf.“ In ihrer Kindheit zieht sie mehrfach um. Mit 14 Jahren wechselt sie nach Luxemburg auf eine internationale Schule. Für das Mädchen aus Klagenfurt fühlt sich das wie die große, weite Welt an. Sie überwindet die Startschwierigkeiten, trainiert sich den Kärntner Dialekt ab und klingt schnell wie eine Deutsche.

Nach der Schule wechselt sie nach Wien und studiert erstmal Chemie. „Dort waren die Studienbedingungen so schlecht, dass ich begonnen habe, mich in der ÖH zu engagieren“, erinnert sich Sima. Und so politisiert sie sich endlich doch noch, allerdings bei der Gras, der Hochschulorganisation der Grünen. Sima macht letztlich einen Abschluss in Molekularbiologie und landet 1995 als Gentechnik-Expertin bei der NGO Global 2000. Dort lernt sie Kampagnen zu führen, gerne mit populären Themen (das Gentechnik-Volksbegehren, an dem sie beteiligt ist, unterschreiben 1,2 Millionen Menschen) und im Gleichschritt mit der Kronen Zeitung. Das hat sie nie verlernt. Ende der 90er-Jahre wechselt sie zur SpÖ und kandidiert 1999 erfolgreich für den Nationalrat. Die SpÖ landet in der Opposition, was für Sima nicht nur Nachteile hat. Im Gegensatz zu vielen anderen kann sie als ehemalige NGOlerin Opposition. Sie wird Umweltsprecherin und lernt, was es heißt, Abgeordnete zu sein.

2004 holt Häupl sie in die Stadtregierung. „Dort war ich ein bisschen das Küken“, erinnert sie sich. Mit Häupl versteht sie sich gut -hier die Molekularbiologin, dort der Biologe, der sie manchmal auf seine eigene Häupl-Art als „Laborbiologin“ verspottet. Sima wächst in die Rolle hinein und entwickelt ein untrügliches Gespür für populäre Themen. Im Jahr 2012 beginnt die Krone in Wien für eine Öffnung des Sternwarteparks in Währing zu kampagnisieren. Sima springt sofort auf den Zug auf und zieht es durch, trotz Bürgerinitiativen gegen das Projekt. Heute ist der Park offen, über die Vorgeschichte spricht niemand mehr. Das ist durchaus etwas, was sich durch die Karriere Simas zieht:Die zweispurige Wegführung des 13a durch die Neubaugasse, das Alkoholverbot, das Rauchverbot – alles Aufreger, alles mit Widerstand verbunden. Vielleicht hat Sima in den Jahren gelernt, dass es sich manchmal lohnt, ein wenig über Widerstand drüberzufahren.

2016 streitet sie sich öffentlich mit der Architektenkammer, nachdem sie den Bau eines Bürohauses für die MA48 stoppt. Der geplante Entwurf hatte sich in einem Wettbewerb gegen das von der Stadt favorisierte Haus in Form eines Mistkübels (in der Jury-Sitzung sollen dazu die Worte „unsäglicher Kitsch“ gefallen sein) durchgesetzt. Sima verteidigte sich in einem Interview und äußerte sich skeptisch gegenüber Architekturwettbewerben, mit dem Argument, dass dort „eventuell etwas herauskäme, das uns als Bauherren gar nicht gefällt.“ Da blitzte wieder die Stadträtin durch, die sehr konkrete Vorstellungen hat, wie ein bestimmter Teil der Stadt auszuschauen hat, und auch bereit ist, diese durchzudrücken. Immer wieder umwehen Simas Prestigeprojekte wie das Tierquartier, ein riesiges Tierheim am Stadtrand, oder die Finanzierung des Donauinselfests über den mittlerweile aufgelösten Verein „Freunde der Donauinsel“, den Hauch der roten Wiener Intransparenz. In den Vorwürfen geht es nicht um Korruption oder Strafrechtliches, aber um einen leicht feudalen Umgang mit Steuergeld.

Das Spiel wiederholt sich gerade bei der Markthalle, die irgendwann den Parkplatz beim Naschmarkt zieren soll. Das Projekt ist umstritten, aktuell läuft eine Bürgerbeteiligung. Simas erklärtes Ziel ist es, einen „attraktiven Ort für lokale Anbieter zu schaffen“. Die Bürgerbeteiligung dreht sich vor allem darum, wie man den restlichen Platz (immerhin zwei Drittel der Fläche) nutzen sollte.

„Einen gewissen Rahmen müssen wir vorgeben“, sagt Sima. „Wenn wir eine Bürgerbeteiligung bei einem Stadterweiterungsgebiet machen, sagen wir ja auch, dass dort Stadterweiterung stattfinden soll.“ Hört man ihr dann zu, wie sie über regionale Produkte wie den Wiener Wels (ein Fisch, der in der Donaustadt gezüchtet wird) und die funktionierenden Vorbilder aus anderen Städten redet, dann klingen die Argumente für eine Markthalle plausibel. Möglicherweise ist das wieder so ein Projekt, wo man sich in fünf Jahren fragen wird, warum das einmal kontrovers war. Oder auch nicht. In einem Interview mit dem Falter ließ sich Sima vor einigen Wochen mit dem Satz „Ich wollte schon immer eine Markthalle in Wien haben“ zitieren. Das war mit einem Augenzwinkern gemeint. Aber so ganz fern von der Arbeitsweise der Politikerin Ulli Sima war das dann wohl doch nicht.

Redet man mit Journalisten, die schon länger in und rund um das Rathaus arbeiten, hört man durchaus Gutes über die Stadträtin. Sima ist beliebt. Sie ist umgänglich, mit vielen per Du und hat einen guten Schmäh, wenn sie denn will. Sie neigt dazu, Journalisten nach Artikeln persönlich zu schreiben, vergreift sich dabei aber nie im Ton.

Es gibt aber auch andere Geschichten. Das Büro Sima kann hart sein. Gegenüber der eigenen Verwaltung, aber auch gegenüber Medien. Wenn man etwas von ihnen braucht, was ihnen nicht so in den Kram passt, sei es gar nicht einfach, eine Antwort zu bekommen. Ihr Team weiß, wie Message Control funktioniert, auch wenn die Message manchmal nur „Stadträtin Ulli Sima“ ist.

Auch die Sozialen Medien gehören zu Simas professioneller Kommunikation. Kaum ein Mitglied der Wiener Stadtregierung wird so oft fotografiert. Auf den Fotos lehnt Sima auf E-Autos, pflanzt Bäume oder sitzt auf einer riesigen Uhr. Oft hält sie Dinge in die Kamera. So oft, dass jemand vor Jahren einen Blog mit dem Titel „Ulli Sima holding things“ einrichtete. Dort werden Fotos von Sima mit, naja, eben Dingen in der Hand gezeigt: einem Verkehrsschild, einem Holzschaf, einem lebenden Meerschweinchen. Man entscheidet sich, das Ganze mit professionellem Humor zu nehmen. „Eine Zeit lang wollten alle Fotografen immer, dass ich etwas in die Hand nehme“, lacht Sima. Gewehrt hat sie sich nicht, warum auch. Wenn Menschen freiwillig Fotos von Politikern verbreiten, sollte man ihnen nicht im Weg stehen.

Wenn man wollte, könnte man das Rezept der Stadträtin Sima vielleicht folgendermaßen zusammenfassen: Sie zieht einen schönen Vorhang hoch, hinter dem sie in Ruhe arbeiten kann. Der Vorhang, das sind die Porträts auf den Schildern, die Fotos, wie sie im Sommerkleid bis zu den Waden in der Alten Donau steht und Wasser in Richtung der Kamera spritzt. Das mag zwischenzeitlich bis ins Lächerliche überzeichnet sein („Willst du einen hippen Platz, dann halte rein den Yppenplatz“), aber es funktioniert. Was andere über diesen Vorhang denken, das muss Sima nicht wichtig sein.

Das Wiener Rathaus ist immer in Bewegung. Stadträte und Koalitionen kommen und gehen. Ulli Sima gibt es immer noch, jetzt eben mit einer neuen Aufgabe. „Ich glaub, ich hab das neue Ressort bekommen, damit ich Geduld lerne“, sagt sie. Stadtplanung sei extrem langfristig angelegt, man müsse noch mehr Menschen mitnehmen. „Vielleicht ändert das auch etwas an meinem Politikstil.“ Bleibt nur mehr die Frage, wie sie sich selbst erklärt, dass sie auch nach 17 Jahren noch mit Bezirksvorstehern verhandeln und Dinge in die Kamera halten darf. Man müsse seinen Schwerpunkt finden, sagt Sima. „Aber ich will nicht überheblich sein. Es gehört immer eine Portion Glück dazu.“