Klimawandel? Klimakatastrophe!

ERSCHIENEN IN DAS MAGAZIN 40/2018

Eine Reise nach Tuvalu und die Frage, weshalb Wissenschaftler oft falsch verstanden werden.

Tuvalu I

«Sie sind wegen des Klimawandels hier, oder?» Miriama Taukiei kennt das bereits. Die junge Frau steht vor ihrem Haus in Tuvalu, nimmt ihren Sohn auf den Arm, Wellen schwappen in ihren Vorgarten. Miriama Taukiei ist in Tuvalu geboren, mit dem Meer vor der Tür aufgewachsen. Sie weiss, dass ihr Land draussen in der Welt vor allem dafür bekannt ist, von ebendiesem Meer verschluckt zu werden. Und sie weiss auch, dass ihr Haus genau dafür ein perfektes Symbol ist.

Zwischen der wackligen Hütte, die sie mit ihrem Mann Kepasi bewohnt, und der Lagune sind es vielleicht anderthalb Meter. Das Fundament liegt zwanzig Zentimeter über dem Meeresspiegel, bei starkem Wind wird das Haus oft unterspült. Die Familie lebt ganz gut damit, nur die Elektronik der Waschmaschine leidet unter der salzigen Feuchtigkeit.

Tuvalu ist das viertkleinste Land der Welt. Die Inselgruppe im Pazifik liegt im Mittel zwei Meter über dem Meeresspiegel. Steigt er, versinkt sie. Das gilt seit langem als ausgemacht. Vertreter Tuvalus hielten emotionale Reden auf UN-Klimakonferenzen, es wurden etliche Dokumentarfilme über Tuvalu gedreht. Über die Inseln, die versinken, die es nicht mehr lange geben wird, wenn wir nicht bald es etwas unternehmen.

Nur: Der Fall Tuvalu ist etwas komplexer.

Die Medien I

Paul Kench ist ein Neuseeländer, der mit seiner Meinung nicht hinterm Berg hält. Am Telefon flucht er, spuckt bestimmte Worte aus, wenn er sich ärgert. Und er ärgert sich oft. Kench ist Geomorphologe an der Uni Auckland. Er hat sein Leben der Frage gewidmet, wie sich die Küsten von Inseln physisch verändern.

Im Februar 2018 erschien im Fachmagazin «Nature Communications» eine Studie der Uni Auckland, an der Kench massgeblich mitgearbeitet hat. Die Wissenschaftler verglichen Satellitenaufnahmen von Tuvalu aus dem Jahr 1971 mit aktuellen. Das Ergebnis: Zwischen 1971 und 2014 hat die Landfläche von Tuvalu – des Staats, der vom Meer überspült wird – um 73,5 Hektar zugenommen. Der Meeresspiegel ist gestiegen, sogar stärker als im weltweiten Durchschnitt. Aber die Inselgruppe ist nicht kleiner, sondern grösser geworden. Die Studie widerspricht allen gängigen Narrativen. Kench erzählt, dass er anfangs Schwierigkeiten hatte, ein Magazin zu finden, das sie veröffentlichen wollte.

«Tuvalu ist nicht versunken, sondern grösser geworden», titelte «Die Presse» in Wien. Das ist nicht falsch, im Detail waren die Ergebnisse aber kompliziert. Die Fläche Tuvalus verteilt sich auf 101 Inseln. In den letzten knapp 50 Jahren sind davon 73 grösser geworden, 28 kleiner. Unterm Strich blieb ein Plus. Den grösstes Zuwachs gab es bei den mittelgrossen, zurzeit unbewohnten Inseln. «Wir gehen davon aus, dass sich die Wellenmuster geändert haben und mehr Sediment angespült wurde», sagt Kench. Da müsse man aber vorsichtig sein, die Ursachen seien nicht Teil der Studie gewesen.

Seht her, auch diese Behauptung der Klimaforscher war falsch. So titelten die Blogger der Klimawandelskeptiker-Szene. Die Rezeption macht Kench bis heute wütend. «Unsere Studie wurde triumphierend durch die Bloggerszene der Skeptiker durchgereicht», sagt er. «Was für ein Blödsinn. Wir haben keine Aussage über den Klimawandel gemacht, sondern über die Veränderungen der Küste einer Inselgruppe.»

Die Gefahr, dass Studienergebnisse in der Öffentlichkeit missverstanden werden, ist gross. Wissenschaft ist kompliziert, es ist ein ständiger Prozess des Falsifizierens. Das bedeutet, dass Aussagen so lange ihre Gültigkeit haben, bis sie widerlegt werden können. Hypothesen werden aufgestellt, diskutiert und wieder verworfen. Wissenschaft ist ein Prozess. Das ist in einer Medienwelt, in der Forschung meist unter dem Schlagwort «Wissenschaftler haben herausgefunden, dass» vorkommt, schwer abzubilden.

Experten eines Fachgebiets können sich in 95 Prozent der Fragen einig sein – umstrittene Detailfragen werden in der Regel bleiben. «Wir verstehen die groben Prozesse des Klimas heute sehr gut. Das heisst nicht, dass es in den Details keine Unsicherheiten gibt», sagt Thomas Stocker, Klimaforscher an der Uni Bern. Es wird immer Thesen geben, die von neuen Erkenntnissen über den Haufen geworfen werden. Klimaskeptiker beobachten die Wissenschaftsdebatte, warten auf genau solche Meldungen wie die Studie über Tuvalu. Sie helfen ihnen, den überwältigenden Konsens unter Klimaforschern als brüchig darzustellen. Und daher versteckt sich hinter der Geschichte vom Untergang Tuvalus auch eine der grossen Fragen der Wissenschaft und ihres Umgangs mit der Öffentlichkeit:

Wie soll man den Klimawandel so kommunizieren, dass Laien die Dringlichkeit verstehen, ohne Gefahr zu laufen, durch Übertreibungen den Skeptikern Munition zu liefern?

2017 erschien im «New York»-Magazin ein Artikel mit dem Titel «The Uninhabitable Earth», «Die unbewohnbare Erde». Darin wurde eine dystopische Zukunft beschrieben: Weite Teile der Erde könnten schon in der Lebensspanne eines heute Dreissigjährigen nicht mehr bewohnbar sein, das Leben in den Städten der westlichen Zivilisation unerträglich werden. Nichts von dem, was in dem Artikel stand, war grundsätzlich unwissenschaftlich. Und doch wurde er auf breiter Front kritisiert, weil er sich auf die Extremszenarien konzentrierte. «Die Beweise dafür, dass der Klimawandel ein ernsthaftes Problem ist, sind überwältigend», schrieb der Klimaforscher Michael E. Mann. «Es gibt keinen Grund, den Stand der Forschung übertrieben darzustellen.»

Unter Klimaforschern tobt schon seit längerem eine Debatte darüber, wie man die wahrscheinlichen Auswirkungen des Klimawandels öffentlich darstellen sollte. Die Debatte ist kompliziert, im Grunde gibt es aber zwei Lager. Die einen plädieren für Vorsicht, bleiben in der zurückhaltenden Sprache der Wissenschaft, kommunizieren ausschliesslich das, was man mit hoher Wahrscheinlichkeit sagen kann. Die anderen sind der Ansicht, dass das nicht mehr ausreiche. Der Kampf gegen den Klimawandel sei eine Aufgabe von epochalem Ausmass. Man müsse den Menschen potenziell verheerende Szenarien vor Augen halten, selbst wenn diese auf der unteren Skala der Wahrscheinlichkeit liegen.

Vereinfacht gesagt, hat man, wenn man den Klimawandel kommunizieren soll, zwei Möglichkeiten. Man kann realistisch bleiben – auf die Gefahr hin, dass es niemanden interessiert. Oder man kann apokalyptisch werden – auch auf die Gefahr hin, dass die Apokalypse dann ausbleibt.

Tuvalu II

Tuvalu ist so etwas wie das Ende der Welt. Dort, wo man in eurozentrischer Tradition die Weltkarte zerschneidet. Von Fiji aus sind es drei Stunden Flug mitten in den Pazifischen Ozean. 11 000 Einwohner verteilen sich auf neun Atolle, knapp zwei Drittel davon leben auf dem dicht besiedelten Hauptatoll Funafuti. Es sind winzige, schmale Eilande, kleine Striche in der endlosen, blauen Weite.

Tuvalu hat kaum Infrastruktur, kaum besondere Sehenswürdigkeiten, nur etwa tausend Touristen besuchen den Pazifikstaat im Jahr. Aber man muss hierher kommen und es mit eigenen Augen gesehen haben, um zu verstehen, warum dieses Land so gut als Symbol für die Gefahren des steigenden Meeresspiegels funktioniert. Nur in Tuvalu selbst kann man spüren, was es heisst, dem Ozean wirklich ausgesetzt zu sein. Der Satz «Tuvalu liegt durchschnittlich zwei Meter über dem Meeresspiegel» ist abstrakt. Konkret bedeutet er: Man kann auf Funafuti auf der einen Seite der Insel mit den Füssen im Wasser stehen und das Meer auf der anderen Seite sehen. Ein flacher, zweihundert Meter schmaler Streifen, auf dem Menschen leben, links und rechts Tausende Kilometer weit nur Horizont und Wasser.

Die Menschen trotzen dem Meer Lebensraum ab, mehr noch: ihr Leben. Sie fischen, fahren zur See. Tuvaluaner haben eine lange Tradition als Matrosen. Der Ozean hat über Jahrhunderte das Leben auf den Inseln möglich gemacht. Und wenn nichts passiert, wird er es bis Ende des Jahrhunderts unmöglich machen.

Der Mann, der das verhindern möchte, sitzt in einem klimatisierten Raum im zweiten Stock des Amtsgebäudes auf Funafuti. Enele Sopoaga, Premierminister von Tuvalu, ist ein älterer, stolzer Mann mit grauen Haaren und Schnurrbart. Auch in seinem Büro ist das Thema Klimawandel allgegenwärtig, eine Kopie des Pariser Klimaabkommens lehnt sichtbar an der Couch. Sopoga fliegt an Konferenzen, macht international Druck. Er hat Donald Trump zur Wahl gratuliert, gab ihm aber die Warnung mit, dass «alle im selben Kanu sitzen». Trump hat ihm nie geantwortet. Die Menschen Tuvalus seien besorgt, sagt Sopoaga. Seit 2013 ist er Premierminister. Er will sich nicht damit abfinden, dass die Inseln verloren seien. Man müsse das Thema international weiter vorantreiben, der Welt erzählen, was hier passiere. Aber auch vor Ort konkrete Projekte vorantreiben, um besser mit den Veränderungen umgehen zu können. «Wir können Tuvalu retten», sagt Sopaga. «Um das zu schaffen, müssen wir mit der Welt zusammenarbeiten.»

Tuvalu ist ein armes Land, und es fliesst internationales Geld nach Tuvalu. Australien ist ein wichtiger Geldgeber, wohl auch, weil das Land im Pazifik strategische Interessen hat und die erste Anlaufstelle ist, wenn Inseln unbewohnbar werden. Unlängst lief in Tuvalu das Tuvalu Coastal Adaptation Project (TCAP) an, ein Projekt, das bestimmte Küstenbereiche und wichtige Einrichtungen wie Krankenhäuser vor den Auswirkungen der Erosion schützen soll. Das Projekt ist breit angelegt, setzt sowohl auf «harte» Massnahmen wie Küstenwälle als auch auf sanfte Methoden wie die Stärkung lokaler Institutionen. TCAP ist auf sieben Jahre angelegt. 36 Millionen US-Dollar kommen vom Green Climate Fund der UN, die Regierung Tuvalus steuert 2,9 Millionen Dollar bei. Tuvalu hat sich die Rolle als Opfer des Klimawandels nicht ausgesucht, an seiner Rolle als Symbol wurde allerdings durchaus gearbeitet. Auf den letzten UN-Klimakonferenzen hatten die Vertreter Tuvalus prominente Auftritte. 2009 hielt Ian Fry, Australier und Tuvalus Chefunterhändler in Sachen Klimawandel, in Kopenhagen eine emotionale Rede, in der er unter anderem berichtete, an jenem Morgen weinend aufgewacht zu sein. Mächtige Bilder, die unter den Delegierten Applaus, hinter vorgehaltener Hand allerdings auch Kopfschütteln auslösten.

Es gibt Wissenschaftler wie Paul Kench, die Tuvalu vorwerfen, alles zu ignorieren, was nicht in das bestehende Narrativ passt. Die Journalistin Anke Richter, die Tuvalu 2007 bereiste, berichtete von einem Staatssekretär, der ihr unverblümt ins Gesicht sagte, dass man den Klimawandel «sensationalisiere», um an internationale Hilfsgelder zu kommen. Das Thema Klimawandel ist auf Tuvalu allgegenwärtig und trotzdem heikel. Die Menschen reden vorsichtig, Interviews werden in letzter Minute abgesagt.

Über das Thema Klimawandel zu reden, ist auch deshalb so kompliziert, weil sich technische, politische, aber auch eine moralische Frage vermischen. Es geht um Schuld, um Verantwortung, aber es geht auch um die Frage von Möglichkeiten und auf welche Schultern die Last verteilt wird. Der Klimawandel wird von den Reichen der Erde verursacht, trifft jedoch die Armen deutlich heftiger. Ein Land wie die Niederlande kann es sich leisten, jährlich Milliarden auszugeben, um seine Küsten vor Erosion zu schützen. Tuvalu kann das nicht. Selbst wenn ein armes Land ein real existierendes Problem emotionalisiert: Kann man ihm da einen Vorwurf machen?

Die Medien II

Der Sommer 2018 war ungewöhnlich heiss, und wie immer wenn es ungewöhnlich heiss ist, ist das Thema Klimawandel überall präsent. Medien machen Experteninterviews, schreiben emotionale Kommentare, jonglieren mit den Phänomenen Hitze und Dürre (und tun dabei oft fälschlicherweise so, als seien sie Synonyme). Im Sommer 2018 war aber auch wieder zu sehen, wie Teilbereiche der Gesellschaft aneinander vorbeireden, weil sie unterschiedlich funktionieren. Der Journalismus sagt: Jetzt ist es heiss, also interessiert die Leute das Thema Klimawandel jetzt. Die Wissenschaft sagt: Der Klimawandel erhöht mit hoher Sicherheit die Chancen auf Extremwetterereignisse – der Schluss, dass ein bestimmtes Wetterereignis auf den Klimawandel zurückzuführen sei, ist aber unzulässig. Deshalb bremsen Wissenschaftler eher, wenn Journalisten sie anrufen, um mit ihnen über die 35 Grad zu reden.

Politisch öffnen Extremsommer allerdings Handlungsfenster, weil Menschen die Notwendigkeit von Massnahmen eher verstehen, wenn sie bei 35 Grad in ihren Wohnungen schwitzen. Die ersten Klimaaktivisten, die in den frühen 80er-Jahren versuchten, das Thema Klimawandel in der US-Politik zu verankern, lernten genau das: Klima-Pressekonferenzen sind bei 30 Grad plus effektiver. Genau vor dieser Art der politischen Kommunikation schrecken viele Wissenschaftler zurück. Das paradoxe Ergebnis: In Zeiten, in denen sich die Leute am meisten für ihre Themen interessieren, werden Wissenschaftler vorsichtig.

Die Debatte, wie man den Klimawandel kommunizieren soll, dreht sich nicht nur um den Zeitpunkt, wann geredet werden soll, sondern auch um das Wie. Es geht zum einen um Sprache, um die Worte, die benutzt werden. Elisabeth Wehling, Sprachwissenschaftlerin und Expertin für Framing, plädiert seit langem dafür, das Wort «Klimawandel» nicht mehr zu benutzen. «Wandel» sei positiv besetzt, es müsse vielmehr «Klimakatastrophe» heissen. Es geht zum anderen aber auch um das Problem, dass die Wissenschaft eine eigene Teilsprache hat, die ausserhalb der Universitäten missverstanden wird. Sagt ein Wissenschaftler «Wir sehen keine bis wenig Anzeichen, die für diese These sprechen», meint er eigentlich: Das ist Bullshit. Und es gibt durchaus Wissenschaftler, die sagen, vielleicht müsste man das auch in der Öffentlichkeit öfter einmal so sagen.

Es geht in der Debatte aber vor allem auch um Bilder. Das vielleicht mächtigste Bild der jüngeren Klimakommunikation ist die Hockeyschlägerkurve. Eine Temperaturkurve in Form eines Hockeyschlägers: lange Zeit flach, erst weit rechts schnellt sie plötzlich in die Höhe. 1999 von Michael E. Mann eingeführt, zeichnet sie ein einfaches Bild, das jeder versteht: Lange Zeit passierte bei der Temperatur wenig. Seit Ende des 19. Jahrhunderts, also seit der Mensch mit seiner Industrie kräftig mitmischt, geht es exponentiell hinauf.

Auch wenn die Hockeyschlägerkurve, oder genauer: ihre öffentliche Darstellung, diesen Prozess stark vereinfacht darstellt, Schwankungen glatt bügelt und auch unter Wissenschaftlern kritisiert wird, hat es bislang noch niemand geschafft, ihre Grundaussage zu widerlegen. Auch wenn das häufig genug versucht wurde: Die US-amerikanische Energieindustrie erkannte schnell das gefährlich Potenzial einer Kurve, die jeder versteht, und pumpte seit Anfang der Nullerjahre Millionen in Verschleierungskampagnen. «Der Hockeyschläger war das Schlimmste, was der Industrie passieren konnte», sagte Mann 2012 der «Zeit». Journalismus ist, anders als die Wissenschaft, nicht an Vorsicht und Zurückhaltung gebunden. Die Klimaberichterstattung pendelt zwischen Ignoranz und Alarmismus, sucht sich gerne Bilder heraus, die einer nüchternen Betrachtung nicht standhalten.

Der «Spiegel» coverte einmal mit dem Kölner Dom, der bis zu den Türmen unter Wasser stand, es wurde über Nilpferde im Rhein spekuliert. Aber auch abseits solcher Extrembilder bergen Zukunftsszenarien ein Problem: Die Möglichkeit, dass ein Ereignis eintreten könnte, heisst nicht, dass es eintritt. Es ist einfach, über Alarmismus die Nase zu rümpfen. Das Problem: Es gibt durchaus auch Beispiele, in denen er letztlich positive Auswirkungen hatte. Das berühmteste ist das Phänomen Waldsterben. Der Begriff wurde 1979 in die Debatte eingeführt und traf ins Schwarze. Monatelang war das Thema in Deutschland, in Österreich und in der Schweiz riesig, führte zum Erstarken der Umweltbewegung, war Geburtshelfer der Grünen. Und führte letztlich zu strengen industriepolitischen Vorgaben, die den sauren Regen, der die Wälder angriff, eindämmten. Auch Befürworter der Theorie sagen heute, dass die Zukunftsszenarien übertrieben waren: Europa wäre nicht schleichend waldlos geworden. Aber die Diskussion über ebendiese Szenarien habe zu politischen Massnahmen geführt, um die Wälder zu schützen. Der Alarmismus habe sich quasi selbst seine Grundlage entzogen.

Tuvalu III

Pase Talaapa ist ein ruhiger, freundlicher Mann. Der 59-Jährige trägt einen traditionellen Wickelrock, sein Hemd spannt über dem Bauch. Talaapa ist der Chef des Stadtrats von Funafuti, also der Lokalregierung des Hauptatolls. Talaapa fliegt nicht um die Welt, und doch beschäftigt er sich täglich mit den Auswirkungen des steigenden Meeresspiegels auf die Menschen Funafutis. Wenn man so will, ist er ein Fusssoldat an der Front gegen den Klimawandel. «Die Menschen kommen mit ihren Problemen und Fragen zu mir und erwarten Antworten.» Talaapa redet ruhig, abgeklärt, aber man hört die Schwere seine Aufgabe heraus. Funafuti wird nicht nur durch den Klimawandel herausgefordert, sondern auch durch Zuzug auf die nur zwei Quadratkilometer grosse Hauptinsel Fongafale. Baugrund gibt es seit längerem kaum mehr. Regeln, wie viele Menschen in einem Haus wohnen dürfen, sind in der familiär geprägten Gesellschaft Tuvalus schwer durchzusetzen. In Zeiten knapper werdender Ressourcen muss Talaapa Antworten für mehr Menschen finden. Wie soll das gehen?

Irgendwann im Gespräch holt Talaapa Karten heraus, beginnt über die Zukunft zu reden. In den Schubladen der Verantwortlichen finden sich verschiedene Pläne für das, was einmal kommen wird. Die Inseln aufzugeben ist, anders als früher vor allem von australischen Zeitungen spekuliert, keine Option. 2019 soll damit begonnen werden, 150 Menschen auf eine Insel neben Fongafale umzusiedeln, um ein wenig Druck von der Hauptinsel zu nehmen. Mittelfristig gibt es Überlegungen, in der Lagune eine künstliche Insel aufzuschütten, um Lebensraum zu schaffen. Es gibt in der Geschichte, die Tuvalu erzählt, noch andere Aspekte, über die vor Ort nicht so gerne geredet wird. Küstenerosion ist kein Phänomen, das mit dem Klimawandel begann. Den Prozess hat es auf Atollen immer gegeben. Menschen lebten mit der beweglichen Küste, bauten Pfahlhäuser, legten ihre Unterkünfte temporärer an. Die Inseln waren insgesamt viel dünner besiedelt. Heute ist das anders. Auf ohnehin stark bewohnten Inseln wird jeder Quadratmeter verbaut. Die Menschen im Pazifik wollen leben wie Menschen in anderen Teilen der Welt. Das macht ihr Leben aber sehr viel verwundbarer für die Auswirkungen von Erosion und Extremwetterereignissen. Urbanisierte Atollgesellschaften gehören zu den fragilsten menschlichen Ansiedelungen der Erde.

Man muss sich von dem Gedanken verabschieden, dass eine Inselgruppe untergehen würde wie die Titanic. Das ist nicht die Geschichte, die Tuvalu erzählt. Auf Tuvalu zieht niemand einen Stöpsel, Tuvalu geht anders unter. Die Böden versalzen zunehmend, seit knapp zehn Jahren kann das Grundwasser auf Funafuti nicht mehr genutzt werden. Traditionelle Landwirtschaft zunehmend unmöglich. Die Korallen in der Lagune bleichen durch die wärmer werdenden Meere aus und sterben ab, Fisch – die wichtigste Nahrungsquelle – wird dadurch weniger, und die Nahrungssicherheit schwindet. Tropische Stürme werden häufiger und treffen die dicht bebauten Inseln mit ihren in Leichtbauweise errichteten Hütten mit voller Wucht. Wenn Tuvalu ein Boot wäre, hätte es nicht das eine, grosse Loch, das es zum Sinken bringt, sondern viele kleine.

Das grösste Problem Tuvalus ist die Wasserversorgung, das sich selbst verstärkt. Jedes Haus sammelt Regenwasser in grossen Plastikbehältern, auf denen manchmal Dinge wie «Paid by Australian Aid Program» stehen. Was wiederum zur Folge hat, dass weniger Wasser in die Süsswasserlinse unter dem Atoll nachsickert, was die Böden salziger macht. Und auch an vielen kleinen Ecken macht der Klimawandel das Leben im Pazifik schwieriger. «Wir mussten unsere Unterrichtszeiten mittlerweile nach vorne legen», sagt Fineaso Tehulu, Lehrer an einer Schule auf Vaitupu. Mittags sei es bereits zu heiss, um sich zu konzentrieren. Das ist vielleicht die komplizierte Wahrheit, die Tuvalu erzählt: Der Klimawandel verstärkt die Probleme der pazifischen Atollgesellschaften eher, als dass er sie erzeugt. Zumindest nicht allein. Auch der Begriff «Klimaflüchtling», in der politischen Debatte seit langem verankert, ist schwierig, weil er komplexe Prozesse einfach zu erklären versucht.

Es ist komplizierter: Der Klimawandel verursacht die Migrationsströme nicht monokausal, sondern verstärkt eher die bereits bestehenden. In Tuvalu gibt es seit Jahrzehnten einen mehrschichtigen Migrationsdruck: Schlecht bis mittelgut ausgebildete Arbeitskräfte zieht es von den äusseren Inseln auf das Hauptatoll, gut ausgebildete wandern nach Neuseeland und Australien aus. Diesen Trend gibt es schon seit langem, auch ohne den Klimawandel. «Wenn auf der Welt ein Ungleichgewicht an Lebenschancen herrscht, gehen die Menschen dorthin, wo sie mehr Chancen haben», sagt ein tuvalischer UN-Beamter, dessen Kinder in Neuseeland und Australien arbeiten. «Sind das Klimaflüchtlinge? Ich glaube, das ist zu einfach.»

Die Medien III

Um die Haltung der Bevölkerung zum Klimawandel zu beschreiben, nutzen Wissenschaftler oft fünf Kategorien: die Alarmierten (sie sind am lautesten, tun aber wenig); die beunruhigten Aktivisten (sind leiser, ändern aber ihr Leben); die Vorsichtigen (sind besorgt, aber nicht zu sehr); die Unbeteiligten (versuchen, die Debatte zu umgehen) und die Zweifelnden. Die Verteilung unterscheidet sich von Gesellschaft zu Gesellschaft. Der Anteil der Zweifelnden ist laut einer Studie von 2011 in Deutschland mit 10 Prozent relativ klein, eine sechste Gruppierung, die der «Ablehnenden», die in den USA 13 Prozent ausmachen, ist in Deutschland quasi nicht vorhanden. Die Einstellungen korrelieren mit den sozioökonomischen Eigenschaften. Das führt zur paradoxen Situation, dass die Unbeteiligten weniger Auto fahren und seltener fliegen als die Alarmierten – nicht aus Sorge ums Klima, sondern weil sie es sich nicht leisten können. Die fünf Teilöffentlichkeiten sind vor allem interessant, weil sie verschiedene Ansatzpunkte für Klimakommunikation bieten. Unbeteiligten fehlt es häufig an Basiswissen, während die Vorsichtigen vor allem motiviert werden müssen. «Es gibt nicht die Klimakommunikation», sagt Adrian Brügger, Verhaltensforscher an der Uni Bern. «Ich muss lokal verankerte Menschen anders ansprechen als viel reisende, global denkende.»

Klima-Rezeptionsforschung ist ein kompliziertes Feld. Der Zusammenhang von Bildern, ausgelösten Gefühlen und möglichen Folgehandlungen ist wenig erforscht. Auch weil sich beim Thema Klimawandel Fragen von Selbstwirksamkeit (Was kann ich tun? Und bringt das was?) und kollektiver Wirksamkeit (Wie bringe ich eine Gesellschaft dazu, etwas zu tun?) überlappen. «Menschen sind zum Handeln bereit, wenn sie sich von einem Problem betroffen fühlen und glauben, etwas dagegen tun zu können», sagt Brügger. Das funktioniere bei einem Thema wie Krebs, beim Klimawandel sei beides nur bedingt gegeben.

Nicht immer führen die gewählten Bilder zu den gewünschten Ergebnissen. Apokalyptische Bilder können Menschen das Gefühl vermitteln, man könne ohnehin nichts mehr tun. Bilder, die Hoffnung machen, können suggerieren, es müsste nichts mehr getan werden. Manche Bilder, die früher ein wichtiger Topos der Klimakommunikation waren, sind heute eher aus der Mode geraten – der traurige Eisbär auf dem schmelzenden Eis etwa. Menschen, die sich für Eisbären interessieren, sind meist ohnehin für den Klimawandel sensibilisiert. Heute versucht man es eher mit lokalen Bezügen: Was heisst der Klimawandel für die Schweiz, wo die Jahresdurchschnittstemperatur um zwei Grad gestiegen ist? Was bedeutet er für Zürich, für Berlin, für Wien? Und was für mich persönlich? Journalismus habe dabei vor allem die Aufgabe zu informieren, ohne die Debatte zu überhitzen, sagt Michael Brüggemann, der an der Uni Hamburg zu Klimakommunikation forscht. «Am besten liefert man Kontext, keine Häppchen.» Bei der Berichterstattung über eine Studie wie die Paul Kenchs über die Küsten Tuvalus genüge es manchmal schon, einen Satz einzubauen wie: «Diese Studie stellt die Forschung über den vom Menschen verursachten Klimawandel nicht infrage.»

Mit der aktuellen Situation sind viele unzufrieden. Wer mit Klimaforschern redet, hört viel Kritik an der Berichterstattung. Das Problem seien nicht einzelne Journalisten, sondern die Strukturen. Die News-Zyklen liessen eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Thema kaum zu, ausserhalb der Wissenschaftsressorts sei es für Journalisten oft schwierig, Studien einzusehen. Oder zu verstehen, wie Wissenschaft funktioniert.

Die Wünsche, die sich in den Gesprächen zeigen, sind einfach: Journalisten sollten Einzelstudien nicht überinterpretieren, sie zumindest von Fachleuten in den Stand der Forschung einordnen lassen. Sie sollten Debatten abbilden und Unsicherheiten zulassen, aber den unbestrittenen Kern der Forschung unbestrittenen Kern sein lassen: «Die Erde hat sich seit 1900 weltweit um ein Grad Celsius erwärmt. Der menschliche Einfluss ist klar. Will man die Erwärmung beschränken, muss man die Emission von Treibhausgasen, vor allem CO2, reduzieren und auf null bringen», sagt Thomas Stocker. So einfach sei das.

Tuvalu IV

In Tuvalu geht das Leben weiter, und das Rad dreht sich zunehmend schneller. Im Jahr 2015 fegten Zyklone in einer Stärke über die Inseln, dass sogar die sturmerprobten Bewohner Tuvalus besorgt waren. Das hätten sie so noch nicht gesehen, erzählen die Alten auf den äusseren Inseln. Auf der anderen Seite nimmt aber auch die Geschwindigkeit der Suche nach Lösungen zu. Im Sommer rückten die Bagger an, um mit dem Baumassnahmen an der Küste Funafutis zu beginnen. Menschen wie Miriama und Kepasi Taukiei wollen die Inseln nicht verlassen.

«Wer Tuvalu rettet, rettet die Welt», sagte der Aussenminister des Pazifikstaats im Jahr 2015. Und so ganz falsch ist das nicht. Dass die pazifischen Atollgesellschaften bis zum Ende des Jahrhunderts im Meer versinken, darf zumindest als umstritten gelten. Die Geschichte ist komplizierter als «Tuvalu gibt es bald nicht mehr». Auf den Inseln am Ende der Welt zeigen sich aber die Probleme, vor die der Klimawandel die Menschheit stellt, früher als anderswo. Wie auf einer kleinen Bühne, auf der eine mögliche Zukunft Probe hält. Und es ist sinnvoll, diese Probe ernst zu nehmen.

Die Medien IV

Das Büro von Helga Kromb-Kolb liegt am Ende eines langen Gangs an der Universität für Bodenkultur in Wien. Der Raum ist winzig, man kann sich kaum vor- und zurückbewegen, überall stapeln sich Bücher. Die resolute Frau ist ein Urgestein der österreichischen Klimaforschung und hat ihr ganzes Leben lang dafür gekämpft, das Thema Klimawandel bei den Menschen zu verankern. Wo sieht sie diesen Kampf jetzt, mit 69 Jahren? Ist es fünf vor zwölf? Ist es bereits zu spät? «Ich weiss es nicht», sagt Kromb-Kolb. Sie stelle sich diese Frage nicht mehr, denn sie führe zu nichts.

Helga Kromb-Kolb redet schnell, macht viel Öffentlichkeitsarbeit, hat unzählige Journalisten an dem Holztisch in dem kleinen Büro am Ende des Gangs empfangen. Und doch ist es heute ein anderes Gespräch, als es vor ein paar Jahren gewesen wäre. Es gibt so etwas wie Hoffnung. Irgendetwas sei in den letzten Jahren passiert. Niemand könne sagen, ob das reicht, aber hinter den Status des Pariser Klimaabkommens könne die Welt nie mehr zurück, trotz des Ausstiegs der USA. Der Geist sei aus der Flasche. In der Debatte zwischen den eher vorsichtigen und den eher aktivistischen Wissenschaftlern neigt Kromb-Kolb eher zu den Letzteren. Trotzdem ist ihr Zugang ein anderer.

Nach langen Jahren der Anstrengung will Kromb-Kolb den Menschen heute vor allem ein Bild geben, wofür sich die Anstrengung lohnt. «Menschen kämpfen nicht dafür, weniger fliegen zu können.» Klimaforscher kämen in der Öffentlichkeit immer rüber, als wollten sie etwas wegnehmen. Man müsse den Leuten stattdessen vermitteln, dass man ihnen etwas geben wolle: ein nachhaltiges, würdiges Leben für alle. «Es ist nicht Verbotsrhetorik, die Menschen für eine Sache begeistert. Es ist die Hoffnung auf etwas Besseres.»