›Wir bringen niemanden um‹

ERSCHIENEN IN DATUM 9/2018

Gross, Kampusch, Fritzl: Wolfgang Höllrigl machte die Schlagzeilen, die Menschen morgens in der U-Bahn lesen. Was bleibt von einem Leben am Boulevard?

›Servus, ich bin der Wolfgang.‹ Der Mann im knallgelben Polo, der sich selbstironisch einen ›Bluthund des Boulevards‹ nennt, grüßt freundlich. Man merkt sofort, dass es sein Job ist, die Distanz zum Gegenüber zu überwinden. Wenn man ihn siezt, kommt ein ›Wir sind per Du‹ zurück. Der Satz, der in dem einstündigen Gespräch am öftesten fällt, ist ›Pass auf, dazu gibt es eine gute Geschichte.‹

Wolfgang Höllrigl, 65, blickt auf eine lange Karriere im österreichischen Boulevard- und Chronikjournalismus zurück. ›Geschichten mit Rot- und Blaulicht‹, wie er es selbst nennt. Höllrigl war bei Fellners Basta, Chefredakteur beim Wiener, Chronikchef von Österreich, am Ende Chefreporter der Heute. Er war bei jeder größeren Story der letzten Jahrzehnte mittendrin, hat genauso Nazi-Kriegsverbrechen aufgedeckt, wie im Privatleben von Opfern gewühlt. Seit August ist Höllrigl offiziell in Pension und arbeitet nur noch aushilfsweise. Zeit für ein Gespräch.

DATUM: Gibt es eine Frage, die dich wirklich ärgern würde?

Höllrigl: Nein. Ich wüsste nicht, wo du mich erwischen könntest. Alles, was ich gemacht habe, zu dem stehe ich.

Entwickelt man als Boulevardjournalist über die Jahre eine dicke Haut, was Kritik angeht?

Natürlich fragen mich ständig Leute, warum ich immer Boulevardjournalist war. Früher habe ich versucht, zu ar- gumentieren: Boulevard-Medien haben eine besondere Qualität. Sie müssen ein großes Publikum interessieren und setzen daher auf Themen, die viele spannend finden: Schicksale, Affären, Kriminalität, Menschen vor Gericht. Gut geschrieben, ist das starker Stoff. Also habe ich nie verstanden, wofür ich mich rechtfertigen sollte. Aber stän- dige Erklärung nervt. Deshalb sage ich heute meist: Wäre ich Musiker geworden, hätte ich auch lieber in der Stadt- halle gespielt als in einem Albert-Severin-Saal. Und das geht nicht mit Kammermusik, sondern mit Rock’n’Roll.

Wie bist du aufgewachsen?

Im bürgerlichen Milieu. Mein Vater hatte eine Fahrschule, war eher konservativ. Mein Mutter war bei den SPÖ-Kinderfreunden. Ich war ganz sicher nicht konservativ. Ich hab nach der Matura als Discjockey, so hieß das damals noch, im Wiener Lokal Take Five gearbeitet. Nebenbei hab ich Publizistik studiert. Das war damals ein völlig einfaches Studium. Es war alles easy, ich hatte ganz gute Noten. Als ich meine Dissertation abgegeben habe, hat sie mir eine Professorin zurückgeschickt: Ein Kapitel sei nicht in Ordnung. Gleichzeitig sitz ich in Wien in einem Café und sehe eine Anzeige für eine Lehrredaktion im Profil. 600 haben sich beworben, 50 haben sie einge- laden. Am Ende haben sie zwei Leute angestellt, darunter mich. Das hab ich als Fügung betrachtet.

Hast du das Studium noch fertig gemacht?

Nein. Siehst du, jetzt hast du eine Frage gefunden, die mich ärgert: Warum hab ich’s nicht fertig gemacht?

Und, warum?

Weil ich ein Trottel bin. Aber es war überwältigend damals. Ich hab als junger Mensch mit 6000 Schilling Gage angefangen. Aber es ging blitzartig rauf. Nach 18 Monaten hab ich das Dreifache verdient, nach drei Jahren das Sechsfache. Das kann man sich heute kaum noch vorstellen.

Die Kontakte ins Milieu, kommen die aus der Zeit als DJ?

Für die Geschichte schäme ich mich etwas, auch wenn sie mir beruflich geholfen hat. Im Take Five hat eine blonde Barfrau gearbeitet, die Eva. Die hatte eine Liaison mit dem damaligen Unterweltkönig, Heinz Bachheimer, genannt ›Der rote Heinzi‹. Der Heinzi war oft bei uns im Lokal und hat auf Eva gewartet. Im Zuge dessen hat er begonnen, mir sein ganzes Leben zu erzählen. Wie er aufgewachsen ist, wie sie mit der Maschinenpistole im Anzug nach Hamburg gefahren sind. Da waren irre Geschichten dabei. Kurz nachdem ich zum Sonntagskurier, damals unter Hans Rauscher, gewechselt bin, verhaften die den Bachheimer. Und ich hab alles über ihn gewusst. Ich hab eine Serie geschrieben, ›Der rote Heinzi‹ hieß die.

Wie alt warst du da?

Ich werd so 25, 26 gewesen sein. Im Take Five haben sie mich dann niedergehaut. Ich bin über die Tanzfläche geflogen, und der Täter hat mir ›Schöne Grüße vom Roten‹ zugezischt. Daraufhin hab ich Polizeischutz bekommen und mir auf Anraten der Polizei eine Waffe besorgt. Aber ich hab mich dann mit dem Heinzi ausgeredet, und es war wieder in Ordnung. Ich hab viele Leute aus der Unterwelt gekannt, und das hat mir bei Geschichten immer wieder geholfen. Ich war auch viel auf der Rennbahn. Man hat früher immer gesagt: Nicht alle auf der Rennbahn sind Ganoven, aber alle Ganoven sind auf der Rennbahn.

Du hast gesagt, dass du dich für die Heinzi-Geschichte schämst. Warum?

Weil ich sein Vertrauen missbraucht habe. Er hat mir das privat erzählt. Dieses Wissen für einen Karrieresprung zu missbrauchen war keine Großtat in meinem Leben.

Hast du später nochmal das Gefühl gehabt, jemanden auszunutzen?

Ganz ohne geht das im Boulevard nicht. Ich war eine Zeitlang Redaktionschef von ›Vera‹, Vera Russwurm. Da mussten wir Leute vor die Kamera kriegen, und da waren oft seltsame Geschichten dabei. Man hat der Mutter eines Täters erzählt, dass sie im Fernsehen erzählen könne, dass der Sohn in Wirklichkeit ganz anders sei. Ich hab aber natürlich gewusst, das bringt gar nichts, ich wollte sie nur ins Studio kriegen.

Ich frag ganz direkt: Fühlt man sich scheiße, wenn man solche Leute ausnutzt?

Ich würde das Wort ›ausnutzen‹ nicht benutzen. Unter meinem Vorgänger sind die Eltern vom Briefbomber Franz Fuchs mit Opfern zusammengekommen und haben sich entschuldigt. Das hat’s schon auch gegeben. Boulevard hat seinen Sinn. Es ist schon interessant zu sehen, wie reagieren die, nehmen die das an? Aber jetzt schweifen wir vom Thema ab.

Boulevard ist schon auch Thema dieses Gesprächs.

Boulevard ist nicht die Hochschule der Ethik. Alles andere wäre gelogen. Aber man muss auch schon sagen: Als ich begonnen habe, war das Wilder Westen. Da hat sich viel geändert, es gibt viel mehr Regeln. Wir, also die Heute, sind gerade verurteilt worden, weil wir ein Polizeifoto von der Verhaftung Peter Seisenbachers in der Ukraine veröffentlicht haben, auf dem er nur Boxershorts trägt. Sonst war der ja nicht so heikel.

Auch ein Verdächtiger hat das Recht, nicht in Unterwäsche abgebildet zu werden..

Die Polizei hat das Foto gemacht und ausgeschickt. Bei sowas kann ich nicht immer mit. Früher wollte man immer der Bessere sein, heute will man der ›Gutere‹ sein. Das ist nicht mehr meine Welt.

Du hast viele Stationen gehabt: Wiener, Basta, ›Vera‹. Was war die prägendste Zeit?.

Schon der Start. Beim Profil hatte ich sehr gute Lehrer, beim Kurier sind dann wirklich heftige Sachen passiert. Auch die Geschichte, die ich für die beste meines Lebens halte, weil sie etwas bewirkt hat. Ein Kontakt aus dem Milieu hat mich angerufen. Der ist in der Zelle gesessen mit jemandem, der den damals berühmtesten Gerichtsgutachter, Heinrich Gross, von früher wiedererkannt hat. Gross war NS-Arzt, hat am Spiegelgrund Kinder totgespritzt. Ich hör also, dass der ein Nazischwein war, und bin nach Stein rausgefahren, um mit dem Häftling Friedrich Zawrel zu reden. Ich hab dann den Gross für das ›Porträt der Woche‹ angefragt. Nach 40 Minuten Interview über seine Gutachter-Tätigkeit hab ich ihn gefragt: Herr Professor, wie war das denn 1943? Sein Gesicht ist fahl geworden, das werd ich nie vergessen. Es hat dann ewig gedauert, bis er verurteilt wurde, er war dann auch haftunfähig. Aber wir haben gezeigt: Die kommen nicht alle davon. Das hat mir Freude gemacht.

Was treibt dich im Job an?

Im Englischen sagt man: It’s not a job, it’s a lifetime ambition. Als die Fritzl-Geschichte aufgekommen ist, war ich Chronik-Chef von Österreich. Am nächsten Morgen bin ich rausgefahren, genauso wie 40 andere ›Wölfe‹ von der Bild bis zu den Engländern. Jeder wollte was haben von der Geschichte. Mir ist dann mithilfe eines Fotografen gelungen, die Schwägerin von Fritzl aufzustellen. Die hab ich überredet, uns Fotos von der Familie zu geben, die wir verpixelt veröffentlicht haben. Da hatten wir über Wochen die besten Geschichten. Das ist ein Gefühl wie beim Leistungssport: Wenn du rausgehst mit einer Horde – die ja auch alle keine Ministranten, sondern Blutreporter sind – und besser als die anderen bist. Du musst immer den Zugang finden. Bei der Kampusch- Geschichte kannte ich den Vater, mit dem hab ich eine Summe ausgedealt, wenn wir das erste Foto kriegen. Auch eine Geschichte, auf die ich nicht wahnsinnig stolz bin.

Da weiß man doch, dass das falsch ist. Denkt man da nicht drüber nach?

Es ist der Job. Im Zuge der Fritzl-Geschichte hat sich einmal einer bei mir gemeldet, er sei in einer psychiatrischen Klinik, in der auch die Familie Fritzl ist. Ob mich das interessieren würde. Wenn du da nein sagst, bist du im falschen Beruf.

Du hast im Falter vor ein paar Jahren mal gesagt, du hättest nie deine Ideale verraten. Was sind das für Ideale?

Die Menschenwürde. Ich bin eigentlich immer ein Linker geblieben. Ich glaube, dass jeder Mensch das Recht auf Bildung hat. Kein Mensch verdient es, schlecht behandelt zu werden. Das sind für mich Selbstverständlichkeiten, und mich macht es wütend, dass es keine mehr sind. Wenn eine Ministerin sagt, man kann von 150 Euro leben, dann ist das für mich menschenverachtend. Wir haben gesellschaftlich so viel erreicht seit den 70er-Jahren, und wer das zurückdrehen will, der hat in mir einen Feind.

Im Boulevard wird die Menschenwürde dauernd mit Füßen getreten.

Aber wessen? Früher hat man noch Dinge wie ›Bestie in Menschengestalt‹ geschrieben, das ist heute zum Glück vorbei. Aber wenn jemand, wie damals bei den Favoritener Morden, einem kleinen Mädchen einen Holzpflock in die Scheide rammt, dann weiß ich nicht, ob der denselben Respekt verdient wie andere Menschen. Bei Kinderschändern tu ich mir sehr schwer. Und mit solchen Leuten hab ich jeden Tag zu tun.

Das Argument ist ja: Der Grad an Zivilisation zeigt sich daran, wie wir mit solchen Menschen umgehen.

Ich will Menschen nicht fertig machen, ich verschleiere aber auch nichts. Ich will zeigen, wozu sie fähig sind, aber auch, woher das kommt. Die haben ja alle eine Vorgeschichte, oft eine schlimme. Das darzustellen, finde ich auch aus einer linken Perspektive heraus wichtig. Wir müssen in der Kriminalitätsvermeidung viel früher ansetzen, bei den Familien. Aber dass ich die Würde eines Menschen verletze, das müsstest Du mir zeigen.

Empfindest du als schmutzig, was du tust?

Nein. Wir bringen niemanden um. Wir greifen Geschichten auf.

Bist du zynisch geworden?

Manchmal. Mein Vorbild war Gerhard Leitgeb, ein Kärntner. Der beste Blattmacher, den ich je kannte. Der hat mir vom Stern erzählt: Da muss man in der gesammelten Redaktionskonferenz seine Geschichte pointiert ansagen. Das, was wir heute als Lead-In oder Vorspann bezeichnen. Das ist der größte Schaden, den ich durch diesen Beruf genommen habe: nicht der Zynismus, das gibt’s auch. Aber ich kann langatmigen Dingen nicht mehr zuhören.

Gibt es Geschichten, die du bereust?

Man bereut größere berufliche Fehler. Ich hab beim Wiener dem Helmut Zilk mal ein uneheliches Kind angedichtet, das es nicht gab. Er hat es mir aber am Totenbett verziehen. In der Lucona-Affäre dachte ich lange Zeit wirklich, man wollte Udo Proksch fertig machen. Da stand ich auf der falschen Seite der Geschichte.

Was ist mit der Praxis des ›Witwenschüttelns‹, wie man es in der Branche zynisch nennt?

Da gibt es schlimme Geschichten aus den wirklich wilden Zeiten. Ein Kollege hat bei einer Frau angerufen und gefragt: ›Sind Sie die Witwe Müller?‹, und sie hat geantwortet ›Warum Witwe?‹. Das ist vorbei, und das ist gut so. Das ›Bilderkeilen‹, also der Versuch, bei Bluttaten an alte Opferfotos zu kommen, gibt es so nicht mehr. Die werden alle aus Facebook gestohlen. Das ist auch nicht legitim, aber besser als die andere Variante.

Was ist dein Verständnis von Journalismus? Was muss er leisten?

Aufdecken. Du bist nicht Teil des Staates, du bist Journalist. Deine Aufgabe ist es nicht, Dinge geheimzuhalten. Diese Verhaberei mit Politikern oder Wirtschaftsbossen, das halte ich für eine Katastrophe. Die zweite Aufgabe sehe ich schon in einer unterhaltsamen Präsentation. Der Lingens, damals Profil-Chefredakteur, hat mir mal gesagt: Der typische Leser legt sich abends nach einem Arbeitstag um halb zehn ins Bett und blättert im Profil. Ob er bei deiner Geschichte hängen bleibt, liegt an deinem Titel, deinem Vorspann, deinem Einstieg. Also an dir. Das hab ich mir die letzten 40 Jahre gemerkt.

Was hat sich verändert an dem Beruf?

Es ist weniger Geld da. Wir waren eine privilegierte Generation. Ich bin beim AKH-Skandal mal einer bis auf die Cayman Islands nachgefahren, das hat keine Rolle gespielt. Bei der Ganzen Woche konnte ich Informationshonorare anbieten, das war sagenhaft. Das ist alles weg. Heute fangen Leute mit Magistertitel mit 2000 Euro an und haben kaum Aufstiegschancen. Und wenn das Medium unter Druck ist, ist auch der Journalist nicht mehr so frei.

Was lehren einen 42 Jahre Journalismus über Österreich?

Ich liebe dieses Land, ich liebe vor allem Wien. Ich möchte nirgendwo anders leben. Aber ich verzweifle manchmal. Der Klimawandel ist das größte Problem, vor dem wir stehen. Und wenn Christian Kern, von dem ich kein großer Fan bin, das im neuen SPÖ-Programm herausstreicht, kommt Doskozil und sagt, man dürfe keine links-grüne Fundipolitik betreiben. An einem Tag, wo es 38 Grad hat. In der Politik gibt es kaum mehr überlegte Menschen. Wir brauchen Leute, die wirklich etwas besser machen wollen.

Glaubst du, dass du mit deiner Arbeit etwas besser gemacht hast?

Ich hab sicher mehr unterhalten als reformiert. Ich hab aber vielleicht bei dem ein oder anderen den Lack angekratzt. Das ist sicher auch ganz sinnvoll.

Kann jemand wie du aufhören?

Ja, mach ich ja gerade. Vielleicht schreib ich ein Buch. Nicht über mein Leben, das interessiert keinen. Aber mit einer Kunstfigur, die viel erlebt und wo Geschichten einfließen. Ich hab schon wirklich sehr viel gesehen.